„Wasser im Schiff“

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so langsam lebt sich mein Protagonist Pit in dem kleinen Hafen an der Kieler Förde ein. Du liest die 4. Episode meines Logbuch-Newsletters. …

Logbuch: 23. April
Wind: 10 Knoten aus Nordost,

in Böen 20 Knoten
Temperatur: Wasser 9, Luft 11 Grad Celsius

Windy.com

„Im Windschatten ist schon Frühling“, denke ich als ich aus ihm heraus trete und am Hafenrand entlang in Richtung Schilksee schlendere. Der Osten Wind steigt mir von hinten in den Kragen. Es ist immer noch sonnig, und immer noch empfindlich frisch.

So langsam füllt sich das Becken im kleinen Hafen. An Land dengeln die Menschen an ihren Booten herum, bevor es für die neue Saison wieder in ihr eigentliches Element geht. Es riecht nach Bioziden in allen Farben, die seitdem die Nachttemperaturen im deutlichen Plusbereich liegen von den Jachteignern auf ihre Unterwasserschiffe gepinselt werden. Um Muscheln und andere Meeresbewohner durch Vergiften zu vergraulen.

Ich begrüße den Hafenmeister, der in diesen Tagen meist am Kran anzufinden ist. Er steht da immer mit der gleichen Pose; im Mund eine angezündete Fluppe und in der Hand die Fernbedienung des Krans. Grundentspannt schaut er irgendwie unbeteiligt dem Treiben zu. Um ihn herum wuseln aufgeregt die Eigner der zu kranenden Boote. Ein Segelboot, das an Land liegt, wirkt schon unnatürlich; eines, das an einem Haken hoch in der Luft hängt, macht Bootseigentümer nervös. Mich auch; jedesmal aufs Neue.

„Jetzt sehen sie noch sauber und schier aus“, sagt der Hafenmeister – der mir letzte Woche angeboten hat, ihn doch bitte auch „Hauke“ zu nennen, wie alle hier – als ich mich zu ihm stelle und erst einmal versuche fachmännisch dreinzublicken. „Im Herbst hebe ich dann eine 1/4 Tonne Gras, Muscheln, Pocken und grünen Schleim wieder mit raus.“

„Die meisten Boote werden einfach zu wenig bewegt“, sagt Hauke noch und ergänzt, „oder sie gehören denen, die hier einfach nicht mehr weg kommen“.

Yacht in den Seilen

Ich will gerade fragen, wen er damit meint, als aus dem Inneren der gerade gekranten Segelyacht, einer wunderschönen aus altem Mahagoni, ein Schrei ertönt: „Wasser, Wasser, hoch, hoch“ kommt als geschrieene Anweisung bei uns an. Wasser im Schiff; „zum Glück hängt es noch in den Gurten“, denke ich und schaue zu, wie Hauke die Yacht auf „halb acht“ hoch hebt.

Der Kiel berührt noch die Ostsee, aus dem Rumpf läuft nun das Seewasser – und zwar eine ganz Menge – wie aus einer Gießkanne strömt Salzwasser aus der Seite des Bootes heraus. „Ohne die Gurte wäre sie in zwei Minuten gesunken“, sagt Hauke ungerührt. So hängt sie erstmal in den Seilen, und ich ahne, woher der Ausdruck ursprünglich kommen könnte.

„Beautiful ship, but a bit wet“, sagt Ivan neben mir. Ich habe gar nicht gemerkt, dass er sich dazu gestellt hat. Jetzt grinst er mir ins Gesicht. Wir umarmen uns und dann sagt er, er wolle heute nach Hamburg fahren. „Einkaufen.“, ergänzt er auf deutsch.

Ich warte, bevor ich ihm antworte – irgendwas hat mich gerade irritiert, ich weiss nur noch nicht genau was – und nicke in Richtung unserer eigenen Boote. Ivan versteht sofort: Wir verabschieden uns hastig beim Hafenmeister und gehen in Richtung Strandstraße, denn irgendwie fühlt sich unser Hafenschnack nun so an, als würden wir als Schaulustige neben einem Unfall stehen bleiben.

„Come with me. Hamburg is funny“, sagt Ivan und ich merke, dass sich in meinem Bauch etwas zusammen zieht. „No thanks“, antworte ich knapp. Ich will immer noch nicht nach Hamburg, auch wenn ich weiss, dass ich mich hier nicht ewig verstecken kann. Auch ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich jemanden treffe, dem ich womöglich die Wahrheit sagen muss, sehr gering. Das beruhigt mich allerdings gar nicht.

„Have fun“, murmelt Ivan, als er keine Antwort von mir erhält und trottet in Richtung Bushaltestelle. Der kleine Hafen ist eine Endhaltestelle von mehreren Buslinien, die an sonnigen Sommer-Wochenenden Touristen und Stranderholung suchende Kieler in das Fischerdorf bringen. Meistens steigen aber nur die paar Menschen aus, die hier keinen SUV fahren.

Die urtümlich schnaufende Hydraulik der wartenden Busse, und die gelangweilt an ihren Fahrzeugen lehnenden Fahrer verstärken noch das Gefühl, hier am Ende der Welt angekommen zu sein. Mich stört das nicht.

Ein Fleck, der vom hektischen Rauschen der letzten Jahrzehnte irgendwie ignoriert wurde. Abgekoppelt von der Zeit, hier herrschen gefühlt noch die 90er Jahre. Die abgeranzten Hochhäuser, die von Schilksee herüber schauen, verstärken diesen Eindruck noch. Die westdeutsche Ostsee schläft ja sowieso einen ungesunden Schlaf. Während im Osten mit Solimilliarden mondäne Strandbäder aus der Kaiserzeit wieder belebt werden, zumindest als Postkartenkulisse sehr tauglich, kann man im Westen dem Investitionsstau bei seiner Vermehrung live zusehen.

Das Einzige, was hier nach Globalisierung aussieht, sind die Marmorplatten der neuen Promenade. Die kommen aus China, hatte Dean erzählt, und hatten wochenlang Verzug, weil die Seeschifffahrt damals gerade einen Stau im Suezkanal abwetterte, der Ausmaße annahm, die auch das Leben hier beeinflußten. „Das Kamener Kreuz am Freitag Mittag ist da nix dagegen“, sagte Dean mir gestern Abend.

Wenn Ivan wiederkommt, werde ich ihn mal fragen, wohin er segeln will. Ich will doch nun mal langsam los; sonst werde ich noch so, wie die von denen Hauke sprach: „die hier einfach nicht mehr weg kommen“.


Danke für das Lesen. Bis bald!*

Erik

ps ich versende diesen Letter am Sonntag Morgen, damit Du ihn zum Frühstück lesen kannst; den Podcast dann am Donnerstag später Nachmittag. Für den Weg von der Arbeit nach Hause. Hast Du andere Zeiten, in denen Du lieber liest oder hörst?, schicke mir gerne Feedback als Reply.

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