Ich fahre diese Strecke regelmäßig und wenn man eine Regel aufstellen kann, dann die, dass es rund um Neumünster immer Ärger gibt. Entweder fängt hier der Stau in Richtung Norden an, weil irgendwelche Ruhrpottler in Scharen ihre Kinder und Trekking-Räder nach Dänemark kutschieren oder irgendein Investitionspaket verfrühstückt wird: „Wir bauen für Sie bis Sommer 2014“.
Ich bin eine besonnene Autofahrerin, das Autobahndreieck Bordesholm ist für mich der Alptraum und wenn ich könnte und eine Waffe hätte, dann wären am Straßenrand schon etliche weiße Kreuze, die ich initiiert hätte: LKW-Fahrer, Audi TT Hobbymachos und eben die Radtransporter aus Nordrhein-Westfalen, das wären meine Opfer gewesen. Ich zwinge mich dann immer zur Ruhe, schaue auf die alten und schönen Bäume am Straßenrand, und versuche mich über das Grün zu freuen, das es ja in Schleswig-Holstein sehr viel gibt. Meistens hilft das, und wenn Neumünster und Bordesholm passiert sind, dann beruhige ich mich meist.
Heute auch. Und regelmäßig, wenn ich die drei Windräder sehe, die so schön synchron sich drehen, freue ich mich fast. Irgendwie ist mir entgangen, dass ich sie heute nicht gesehen habe. Dabei war gar kein Nebel oder einer der häufigen Starkregen-Schauer, die dann über die Kieler Bucht ziehen. Es ist warm und hell. Fast blauer Himmel und wenn ich darüber nachdenke, wird es auch immer wärmer in meinem Wagen. Muss an der Sonneneinstrahlung liegen und daran, dass meine Klimaanlage dringend mal wieder gewartet werden muss. Fällt mir immer erst im August auf, an einem dieser Tage, wo Sonne und fehlender Wind die Temperaturen auf über 30 Grad hochjagen. Dann ist er aber fast schon vorüber, der Sommer und ich vergesse einen Termin bei meinem Schrauber zu machen. Und nächstes Jahr dieselbe Leier – wetten?
Ich schaue noch kurz dem Möbeltransporter zu, der nach Kiel abbiegt. Heute geht es für mich nach Flensburg, die A7 vor mir ist frei, ich lehne mich zurück und juckele versonnen mit 130 km/h nach Norden. Vor mir kein Auto, hinter mir auch nicht. „Sind wohl alle abgebogen“, denke ich mir und stimme einen Schlager an. Den von dem hübschen Mädchen, das vor ihm fährt. „Und dann in drei Stunden wird meine Fahrt auch zu Ende geeeehn“, als im Rückspiegel ein schwarzer Transam auftaucht. „Komisch“, denke ich, „wie schnell ist der denn?“. Unwillkürlich drehe ich mich zur Seite, als der Wagen an mir vorbei schießt. Drinnen ist kaum etwas auszumachen, alles voller Rauch. Durch meine offenen Fenster höre ich harte Metal-Musik, erkenne aber nur Konturen. Eine Frau lacht und pustet Rauch aus dem Fenster. „Wacken“, ist mein erster Gedanke, „wenn die nicht mal vorher von der Polizei aufgebracht werden“, mein zweiter. Da kommt auch schon ein weiterer schwarzer Wagen hinter mir in den Sichtbereich meines Rückspiegels. Auch ein Sportwagen, mit komischen runden Fässern hinten drauf und leuchtenden Lichtern oben drauf. Autobahnpolizei. Aber eher so die verwegene Variante. Vielleicht beauftragen die nun in Rendsburg auch private Sicherheitsfirmen mit der Bewachung der Autobahnen, zuzutrauen wäre es dieser Landesregierung ja.
Der Polizist schaut nur kurz rüber, und grinst. Ein hübscher Kerl mit schwarzer Lederuniform, wie man die in Hamburg früher trug. Wie hiessen die Lederjacken man noch? Ach ja, „Erdmann-Jacken“, gibt es heute noch: Marke Funkstreife ;). Die kurzen blondierten Haare passen aber gar nicht zur biederen Polizei , die ich kenne. Der ist ja richtig sexy.
Langsam hat sich auch die Landschaft verändert, und immer noch kommt mir kein Wagen entgegen. Überhaupt, wo ist denn der Mittelstreifen mit der Leitplanke? Und alles Grün scheint auf einmal verdorrt. Steppenartig breitet sich die Landschaft vor meinem roten Mini-Cooper aus. Der Himmel ist immer noch blau, aber weit und breit keine Windräder, kein Wald, und ein braunes Schild am Rand, das den regionalen Vogelpark bewirbt, als Weltsensation versteht sich oder wenigstens nahe dran am UNESCO Erbe, habe ich auch lange nicht gesehen.
Bevor ich so richtig darüber nachdenken kann, taucht vor mir der schwarze Transam auf. Er steht, quer zur Strasse und soweit ich sehen kann, brennt er. O Gott. Was ist denn da passiert? Ich fahre erstmal langsamer und an dem Wagen vorbei, der sich, so wie das Dach ausschaut, mehrere Male überschlagen hat. An der mir zugewandten Seite hängt ein Arm aus dem Fenster, mit lauter Tätowierungen drauf. Und lauter Blut dran. Hinter dem Wagen, das sehe ich nun erst, weil mir die Staubwolke auffällt, die auf das Auto zu rast, läuft ein Mädchen. Irgendwie schief, was daran liegt, dass ihr ein Stück aus ihrer Schulter fehlt. Ich kann nicht wegsehen, so wie alle Gaffer an Unfallorten, überall auf der Welt. Ich schäme mich mehr, als dass ich mich grusele. Ich bremse mit dem linken Fuß und gebe mit rechts Gas. Daran merke ich, dass ich die Kontrolle verliere, mein Mini bockt kurz und rollt dann aus. Als ich wieder raussehe, ist die Staubwolke dem Mädchen sehr nahe gekommen, sie stolpert, und die Staubwolke verschluckt sie. Gebannt starre ich auf die Säule aus Staub, gelb und trocken stobt sie noch ein paar Meter weiter, und fällt dann wie Kaffeewolken in sich zusammen, steigt nach oben und wird immer dünner, sodass ich nun sehen kann, was in ihr steckt. Der blonde Erdmann-Bulle ist ausgestiegen und hält einen kurzen Stab in seiner Hand aus dem es plötzlich Funken sprüht. Mitten in das Gesicht des Mädchens. Den Knall höre ich eine Sekunde später – und muss lachen. Das habe ich alles schonmal gesehen.
Als der junge Bulle dann seinen Blick auf mich richtet, lächelt er noch mehr, auch wenn ich hätte schwören können, dass das gar nicht mehr geht. Nun erst bekomme ich Angst, aber so richtig. Unter mir wird es warm und ich kriege den Mini nicht mehr an. Mein Handy, denke ich, als der Bulle in seinen Wagen steigt und den V8-Motor startet. Es röhrt ohrenbetäubend. Ich kann seine Sonnenbrille sehen, die nun immer näher kommt. „Kommschon“, denke ich, und sehe mich seltsam von außen, als ich das denke. Wenn das geht, dann denke ich nun doppelt, nee, eigentlich dreifach. „Kommschon“ (1), „Wieso denken alle Menschen in Stresssituationen ‚Kommschon’“ (2) und „Mad Max“, wenn nun Mel Gibson auftaucht schreie ich“ (3).
Irgendwie bekomme ich den Wagen gezündet, es pustet heiss aus der Klimaanlage, und der automatische Sendersuchlauf im Radio plingt alle paar Sekunden. Ich gebe Gas. Und als ich das Motorrad vor mir sehe, das mir entgegen kommt, denke ich an die schlechte Frisur von Mel Gibson in Mad Max und seinen unverschämt prallen Po in diesem Leder-Outfit, das der Blonde Bulle auch anhat. Ich weiss das so genau, weil es mein letzter Gedanke ist. Meine letzte Wahrnehmung ist ein goldener Blitz links neben mir und ein Lächeln dahinter, das von einem Ohr zum anderen geht.
Und keiner, der mir erklärt, wieso sowas kommt: Als die Bundesautobahnpolizei in Neumünster meinen zerschossenen Wagen findet, leuchtet mein Handydisplay: „in der Nähe von Bordesholm“ ist mein letztes Foto aufgenommen. Und wurde von meiner Foto-App automatisch in meine Facebook-Timeline gepostet.
Foto: (cc by) Mad Max von MacQ bei Flickr
Mad Max (1979). In a dystopic future Australia, a vicious biker gang murder a cop’s family and make his fight with them personal. Starring Mel Gibson.