Kategorien
Just Blogging

Gerhart Baum auf Mallorca

Algaida, 1978.

Als ich ein Kind war, folgte auf einen heißen Herbst ein nicht weniger heißer Frühling. Meine Mutter war 1978 mit ihrem neuen Freund, der ein wenig wie Christian Klar aussah, meinem Bruder und mir auf Mallorca im Urlaub.

Wir waren die ganze Strecke in einem alten Opel Karavan gefahren – eine Reise an die ich nur noch romantische Erinnerungen habe.

Wir wohnten in einem kleinen Fischerdorf oberhalb eines Restaurants im ersten Stockwerk, alle zusammen in einem Zimmer. Mein Bruder und ich halfen in der Küche und hinter der Bar, damit die gleichaltrigen Kinder früher Zeit hatten, mit uns zu spielen.

Ein paar Mal fuhren wir ins Landesinnere, um Essen zu gehen. Schnellstraßen gab es noch keine und so gerieten die Hin- und Rückfahrten zu echten Abenteuern.

Regelmäßig führte uns einer dieser Ausflüge zu „Mama Algaida“, einem Restaurant, das eigentlich C‘al Dimoni hieß und einen großen weißen Teufel am Eingang stehen hatte, vor dem ich mich immer ein wenig gruselte. „Mama Algaida“ hieß die Wirtin, die in dieser typischen Bodega am Grill stand, unter räuchernden Blutwürsten in beißendem Rauch. Ihre weiße Schürze war fettig, ihre Haare auch. Immer, wenn sie uns sah, nahm sie meinen Bruder und mich in ihre ausladenden Arme, drückte uns an sich und rief „Rubios“ und noch was liebenswertes auf Mallorquin. Auch sie fand ich damals ein wenig gruselig.

Heute stehen Touristenbusse in der Saison dort Schlange. Ende der Siebziger war das Restaurant allerdings, wie vieles auf Mallorca, ein echter Geheimtipp.

Wir hatten gerade aufgegessen, als vor dem Restaurant vier weiße BMW vorfuhren. Mit Blaulicht auf dem Dach. Ihnen entstiegen breitschultrige Männer, zusammen mit dem damaligen Innenminister, Gerhart Baum. Mama Algaida begrüßte auch ihn herzlich und platzierte ihn dann neben uns an den langen Tisch, der die ganze Restaurantstube durchzog.

Berlin, 2006

Ich arbeite in Berlin. Meine Kinder sind inzwischen beinahe so alt, wie ich es 1978 war. Mit Hans-Ulrich Jörges hat der stern seinen letzten Politikchef mit Profil und bäumt sich ein letztes Mal gegen die Bedeutungslosigkeit auf. Wie Printmedien das so machen, mit der pompösen Eröffnung eines großen, repräsentativen, gläsernen Hauptstadtbüros. Zur Eröffnungsparty bin ich eingeladen, weil ich damals für BerlinOnline arbeite. Trotzdem ich ein Format für den Berliner Verlag produziere, das schnell Aufmerksamkeit in der Stadt erlangt, fremdel ich mit der Berliner Szene.

Ich folge der kurzen Führung, dann folge ich den netten Menschen mit den Cannapes auf dem silbernen Tablett, schnacke hier, schaue dort und setze mich gegen 22:00 Uhr auf ein breites Sofa im Atrium. Ich will noch kurz mein Glas austrinken und dann nach Hause.

„Ist neben Ihnen noch Platz?“. Gerhart Baum steht vor mir und will sich wohl auch ein wenig ausruhen. „Klar“, antworte ich. „Kennen wir uns?“, fragt Gerhart – wir duzen uns schnell – und ich zögere kurz mit der Antwort.

Ja, Mama Algaida habe er geliebt, sagt er, als ich ihm von meiner einzigen irgendwie privaten Erinnerung an ihn erzähle. Für das BKA ein Graus, dass er dort immer hin wollte. Er lacht und winkt einen der netten Menschen mit den silbernen Tabletts herbei.

„Trinken Sie auch ein Glas Rotwein mit?“
„Ja, gerne“.

Um uns herum wuselt die politische Szene Berlins, während wir uns in Erinnerungen an ein Mallorca verlieren, das es so nicht mehr gibt. Wir schweifen weit aus, erinnere ich mich. Diskutieren ernst über Fragen des Lebens, der Politik. Ich erinnere mich leider nicht mehr an genaue Inhalte; nur noch daran, dass mir dieser Mensch immer sympathischer wurde, je länger unser Gespräch dauerte. Während ich seine Ausdauer bewunderte, leerte sich die Party zusehends.

Drei Stunden später, verabschieden wir uns. Leicht dun, sehen wir uns nach, dass man „in unserem Alter“ ja nu keine Nächte mehr durchdiskutieren kann.

Köln 2025

Gerhart Baum stirbt mit 92 Jahren. Ich habe zufälligerweise gerade eine kurze Reise nach Mallorca gebucht. Sopa Mallorquin bei Mama Algaida steht auf dem Programm, wie immer seit 1978.

Von Erik H.

Autor + #Podcaster; liebt #Segeln + den FC Sankt Pauli. #FCSP.

Produziert den autofiktionalen #Blog "https://ring2.de"

#lgbtqally

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert