Keinen Zug mehr …

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Logbucheintrag vom 4. Mai
Sonnig, Wind umlaufend und schwach. Luft 12 Grad, Wasser knapp 10.

windy.com

Heute Nacht habe ich vergessen, die Heizung anzumachen. Besser gesagt: ich dachte der Rotwein, den ich zum selbstgekochten Essen genossen habe, würde mich genug wärmen; es würde schon nicht so kalt – außerdem schlafe ich gerne auch im Winter bei offenem Fenster. Das macht mir nix aus.

Pustekuchen. Nachts kühlt es an der Ostsee noch bis auf 2 Grad runter. Was den Innenraum meines Bootes wärmt ist ausgerechnet die 10 Grad kalte Ostsee. Zusammen schaffen Luft und Wasser ein ideales Kühlschrankklima. Acht Grad, da hält sich auch ein in die Jahre gekommener Autor frisch.

Nur wenn ich die Zehen oder Arme ausgestreckt habe, wurde ich wach, weil langsam die Kälte in meinen Ellbogen kroch, beispielsweise. Der schmerzt seit meinen Arbeiten am Rigg immer doller. „Da wo die Knochenhaut mit der verspannten Sehne arbeiten muss, da tut es weh“, erklärte mir der „Knochenbrecher“ genannte pensionierte Orthopäde, den ich mit den anderen Einheimsichen langsam in der Hafenkneipe am Fuße der Mole kennenlernte. „Ich solle mich da vorsehen“, sagte er noch, „das kann schnell chronisch werden“.

Im Mai wird es schon früh hell. Der Frühling fühlt sich gut an, so neu. Ein Versprechen auf sonnige Wochen. Wir haben zunehmenden Mond, der, so erklärte mir der Knochenbrecher, den ich eher als Streichler kennenlernen durfte, macht das Wetter gut. Wieso der Mond das könne, wisse er nicht. Aber den Mond solle man nicht unterschätzen. Der könne Berge bewegen und um die Welt schicken. Berge aus Wasser. Warum dann nicht auch das Wetter.

Prima, dachte ich, als ich der scheuen Sichel am Himmel gestern gute Nacht sagte. Ich war gut gelaunt und wollte nun endlich lossegeln; meinem neuen Leben entgegen.

Die Fischer saßen schon bei ihrem Pausenbier. Von ihren Kunden war weit und breit nichts mehr zu sehen. Drei von ihnen heissen Bernd, das macht es einfach, die Gruppe zu grüßen. „Moin Bernds“, rufe ich beim Vorbeigehen. „Moin Pit“, ruft ein Bernd zurück.

Ich bezahle mein Liegegeld beim Hafenmeister, als mich Hauke kurz anstupst. „Du liegst jetzt sechs Wochen hier“. „Ja?“, frage ich und rechne kurz nach. Tatsächlich. „Damit hast Du quasi das Liegegeld für die ganze Saison bezahlt“, erklärt mir der Hafenmeister. „Von nun an, liegst du gratis – wenn du wiederkommst“, sagt er. Und ergänzt: „das ist ja sicher bald“.

Ich verklemme mir, ihn einzuweihen, dass ich schnell Meilen machen will. „Das merkt er sicher schnell genug“, denke ich als ich winkend das Hafenhäuschen verlasse, auf dem oben eine kleine gläserne Pyramide thront. Wie eine Antenne in den Himmel, reckt sie sich nach den verblassenden Sternen. Innen drin glimmt etwas, so scheint es mir heute, so als bündele sie das Licht des jungen Morgens. „Wer weiss, was sie mit der Energie der Nacht so anstellt?“, denke ichl als ich die Böschung zu meiner inzwischen lieb gewonnen Mole entlang gehe.

Als ich mein Schiff zum Auslaufen klar mache, werfe ich einen langen Blick auf Ivans Boot, das träge neben meinem dümpelt. Alles ist verschlossen, von Innen dringt kein Laut. Ivan ist immer noch nicht zurück aus Hamburg. Ich stelle fest, dass seine Abreise nun auch schon fast eine Woche her ist und ärgere mich ein wenig, dass wir keine Handynummern ausgetauscht haben.

Ich schreibe vor dem Ablegen meine Handynummer auf einen grünen Post-it und klettere beim ihm an Bord, um meine Kontaktdaten an seine Cockpit-Tür zu hängen. Auf seinem Vorschiff liegt ein großer Fischkopf, der mir jetzt erst aufällt. Gestern war der noch nicht da. Es handelt sich um den Kopf eines der hier heimischen Buttarten, eine Art Scholle nur kleiner. „Den hat wohl eine Möwe im Flug verloren“, denke ich und schmunzel für mich selbst dahin, als ich laut ergänze: „mit der hiesigen Mafia wird sich Ivan ja wohl nicht angelegt haben“.

Ich starte den Diesel und rutsche mit langsamer Fahrt auf die Förde. Leicht kräuselt der schwache Wind die Ostsee. Das Windex am oberen Ende meines Mastes zeigt stur in Fahrtrichtung. Ein Zeichen dafür, dass kaum Wind weht. Ich will trotzdem los und weiter in Richtung Norden. Bisher habe ich mich noch nicht entschieden, ob ich in die Schlei oder das weiter entfernte Bagenkop auf der dänsichen Insel Langeland motore.

Als ich noch darüber nachdenke, wo ich lieber sein möchte, verliert der Motor immer mehr an Zug. Ich schaue nach, ob ich aus Versehen an den Gashebel gekommen bin. Das passiert gerne mal, und ich erschrecke mich jedes Mal dabei. Der Gashebel steht aber da, wo er stehen soll. Nur der Motor macht keine 2.000 Umdrehungen, so wie er soll. Stattdessen wird der Schub vorwärts immer weniger, bis der Motor nach einem kurzen Schnaufen ganz ausgeht.

„Schiet!“, rufe ich laut in die kühle Luft und versuche den Motor wieder zu starten. Er springt auch an, fährt los, beschleunigt kurz, nur um diesmal in kürzester Zeit wieder an akuter Erstickung zu sterben.

Ich habe das Boot mit neuem Motor gekauft. Eigentlich habe ich an vielen Stellen Probleme vermutet, immerhin ist meine Schwedin schon 40 Jahre alt. Nur beim Motor hab ich gedacht: „der macht sicher keine Zicken, der ist ja neu“. Was gut ist, denn ich habe von Motoren so gar keine Ahnung.

Der kleine Hafen an der Kieler Förde ist keine zwei Seemeilen entfernt und so entscheide ich mich, die Genua auszurollen und gegen den schwachen Westwind zurück zu glitschen.

Es dauert eine halbe Stunde, bis ich unter Vorsegel mich an einem Pfahl festmache. Hauke steht am äußeren Steg und grinst ein breites Grinsen, das um den ganzen Kopf zu reichen scheint. Wären da nicht seine Ohren, diese Grinsen verliefe ringsrum.

„Willkommen zurück“, ruft er. „Hat schon Vorteile, Segler zu sein“, ruft er hinterher und macht sich auf den Weg, mir beim reintreideln in meine Box zu helfen.

„Ich sag doch, es gibt Leute, die kommen hier nicht mehr weg“, scherzt er, als ich ihn nach einem Bootsmechaniker frage. „Da nimmst Du am besten Joe, der hängt hier immer im Hafen rum und macht seine Sachen schnell fertig. Gibt keinen Motor, den der nicht wieder hinbekommt“, sagt Hauke und zeigt auf einen gelben Ford-Kleinlaster, an dem die Südstaatenflagge prangt, neben den Aufklebern aller gängigen Bootsmotorenhersteller, Volvo Penta, Yanmar und ein paar anderen, die ich nicht kenne.

Ivans Boot dümpelt immer noch an seinem Liegeplatz; nur mein grünes Post-it, das mit meiner Handynummer drauf, das ist weg.