Aufstehverbot

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Es ist ein nasskalter Tag, die Wolken hängen tief über den glänzenden Dächern der Stadt, als ich mich gegen Mittag aus dem Bett schäle. Das Herunterwerfen meiner Decke war schon eine Überwindung, das Heraussteigen aus der Mulde, in der ich die letzten 12 Stunden verbracht habe, ist eine Quälerei. Statt Tanzverbot sollte es am Karfreitag ein Aufstehverbot geben – ich würde mich daran halten.

Ich achte plötzlich darauf, mit welchem Fuß ich zuerst in diesen Tag trete. Soll ich den linken nehmen? Das passte zu meiner politischen Einstellung. Oder doch lieber mein Gewicht auf den stärkeren, den rechten fußen? Ich kann mich längere Zeit allein mit dieser Entscheidung aufhalten, einfach nur zusehen, wie sich in meinem Kopf vor lauter Kreuzungen Paradoxien auftun, die mich von der Bewegung abhalten.

Oben bellt ein Hund. Nein, der Hund. Der Hund, der aus irgeneinem Elend in irgendeiner Gosse gerettet wurde und nun im ehemaligen Arbeiterviertel, das sich kein Arbeiter mehr leisten kann, jault und zetert, weil er mal wieder allein gelassen wurde. Er tut mir leid, aber selbst ich könnte ihm nach ein paar Minuten Gejaule kalt lächelnd die Kehle zuschnüren, so sehr trifft sein Lied meine Nervenenden. Nicht schön, so aufzuwachen. Nicht schön zuzugeben, dass man so schnell am Ende seiner Geduld ist.

Nun bin ich es aber – wach – und beinahe aufgestanden bin ich auch. „Komm schon“, sage ich mir, „wähle!“. Ich nehme den rechten Fuß, meinen stärkeren. Es ist März, da brauche ich all das, was von meiner Kraft übrig ist, um mich über den Kamm des Winters zu schleppen. Ich gehe in meine Küche, in der die hastig zusammen geräumten Teller und Gläser des letzten Abendmahls stehen.

Ich hasse das, aber es passiert mir jeden Abend; ich bin zu müde, zu faul oder zu betrunken, um die Reste des Tages wegzuräumen, abzubacken und die Küche schier zu hinterlassen, damit ich am nächsten Morgen wirklich von vorne anfangen kann. Ich weiß es doch, wie wichtig es mir ist, den Tag in einer aufgeräumten Küche zu beginnen. Je unaufgeräumter ich mich fühle, desto wichtiger ist mir das – ich weiss es doch, verdammt! Und doch vergesse, verschiebe, ignoriere ich es jedes Mal. Ich hasse mich dafür. Ich verurteile meine fehlende Disziplin und habe diesen wertvollen Anfang des neuen Tages schon vergiftet, bevor ich einen Schluck Kaffee genommen habe.

Caffee hilft immer

Ich setze mich ans Fenster und warte auf das Blubbern der Mokkakanne. Wenn ich sie dann vom Herd nehme, bevor sie flehendlich beginnt zu röcheln, das dunkelbraune Gebräu dann in die kleine Tasse mit Wonderwoman-Motiv gieße und die von Aromen geschwängerten Dämpfe mein Gesicht befeuchten, dann vergesse ich kurz, wie einsam und wütend ich auf mich bin. Das ist der Moment, der meinem Verständnis von Glück am nähsten kommt.

Manchmal gelingt es mir, ihn kurz festzuhalten, diesen Augenblick – und ihn ein wenig auszudehnen; mir von der Zeit ein wenig mehr zu leihen, als mir zusteht. Dann reise ich in Gedanken. Nicht weit, nur ein paar Meter weiter, wo der Regen auf das Vordach der Parteizentrale fällt und von dort herunter auf das Kopfsteinpflaster schlägt. Dann erlaube ich mir eine kurze Rebellion gegen mein inneres #Tanzverbot; sehe ich mich selbst tanzen, im Regen.

„I believe in the boogie, but the boogie don’t believe in me.“

Während der Regen in Strömen sich über mich ergießt, höre ich in mir drin diesen Song und lache.

Strikt verboten waren Tanzveranstaltungen ab Februar 1943 nach der verlorenen Schlacht von Stalingrad mit der Kapitulation der 6. Armee (Wehrmacht). Der NS-Propagandist Walter May-Hermannstadt verteidigte das Verbot am 11. April 1943 in einem in regionalen Wochenzeitungen veröffentlichten Leitartikel „Das Tanzverbot ist ein Ausdruck der Solidarität der Jugend mit der kämpfenden Front.“ Diverse Kräfte in der NSDAP bekämpften das Swing-Tanzen.

Teilweise ergingen behördliche Tanzverbote auch aufgrund einer den Tanz generell als unsittlich oder schädlich ansehenden Haltung. Bestimmte Tänze, wie etwa der Wiener Walzer, der Tango oder Rock ’n’ Roll wurden teils als gegen die Schicklichkeit oder das Gebot der Keuschheit verletzend betrachtet. – wikipedia