Mit 16 begann ich, Kutter auf der Elbe zu segeln. Die „Dockenhuden“ vom MSC Blankenese war legendär – ein Jugendkutter mit einer resoluten 18-jährigen Kutterführerin namens Katrin. Echte Erwachsene? Fehlanzeige.
Ich war kein Anfänger. Seit meinem ersten Lebensjahr segelte ich mit, später dann im Opti selbst. Trotzdem wusste ich, was den „Neuen“ blühte: „Taufe“ vor Pagensand – mit Vollzeug in die Elbe. Ich beschloss, die Offensive zu wählen. Den erfahrenen Kutterseglern erklärte ich höflich, aber unmissverständlich, dass ich im Zweifel meine körperliche Überlegenheit ausspielen würde. Die Drohung saß.
Mit an Bord: ein schmaler Junge mit Namen wie aus dem Christianeum-Jahrbuch – Johann oder Nikolai, nennen wir ihn Johann. Er war der Inbegriff eines Frischlings. Klein, unerfahren, mit großen Augen, die alles aufsogen. Ich versprach mir, ihn nach Möglichkeit aus der Schusslinie zu halten.
Unser erster Törn führte uns elbabwärts nach Wedel. Im Hamburger Yachthafen warteten wir auf einen Nachzügler. Katrin – eine Meisterin des Spiels – schickte Johann und mich zum Hafenmeister Ansorge, angeblich um den „Kompassschlüssel“ zu holen. Kein Kutter dürfe ohne freigeschalteten Kompass auslaufen, erklärte sie mit ironischem Ernst. Johann glaubte ihr.
Ansorge, wettergegerbt und mit einer Prise Hamburger Humor im Augenwinkel, reichte Johann den „Schlüssel“: einen kleinen Messingschlüssel der an einem mächtigen Ziegelstein hing. „Der kam immer weg“, murmelte er trocken und schob den Stein über den Tresen. Johann schleppte ihn zurück, unter den belustigten Blicken aller Hafenbesatzungen. Selbst unsere Crew prustete los, als er keuchend an Bord ankam.
Johann blieb gelassen. Er imponierte mir.
Der leichte Ostwind trug uns mit der Tiede Richtung Glückstadt. Auf der Backskiste spielten wir Backgammon, während die Sonne langsam vor uns versank. Johann, der die drohende „Taufe“ längst durchschaut hatte, wartete nicht ab. Kaum hatten wir im Außenhafen festgemacht, sprang er ohne Vorwarnung über Bord – voll bekleidet. Keine Chance für die anderen, ihn zu schubsen.
Die Überraschung ließ alle kurz verstummen, dann brachen wir in Gelächter aus. Einer nach dem anderen sprangen wir hinterher. In nassen Klamotten und Gummistiefeln zogen wir los, Richtung Disco, „Der Turm“ hieß die, glaube ich. Der Boden klebte, unsere Schritte klatschten, und wir schienen in einer eigenen Welt aus brackigem Elbwasser, Adrenalin und Jugend zu treiben. Tanzen in nassen Gummistiefeln? Unbequem, albern – und unvergesslich.
Foto: Stapellauf und Bootstaufe auf der Scharstein-Werft in Strande. CC by, Wiki commons