Boomer sind mitgemeint

Wahrheitsministerium, schwacher Wind aus West (woher sonst), Schauerwetter. Für die Jahreszeit zu kalt.

Liebe Leserinnen und Leser, und liebe Menschen, die sich mit keiner der beiden Anreden angesprochen fühlen, dieser Text könnte für euch moderne Menschen (also alle außer für Boomer — ungegendert, die nur auf den ersten Blick einer gewissen Jahrgangskohorte angehören, denn es gibt sie in allen Jahrgängen) schwerfällig zu lesen sein.

Ich schreibe so verdwatscht, weil ich mir eben beim ersten Kaffe vorgestellt habe, wie es wohl ist, im neuen Kulturstaatsreferat für Wahrheit zu arbeiten und zu schreiben.

Dort, im konservativen Bollwerk für deutsche Sprache, wird in einem ersten Schritt das Gendern verboten, um einer besonders woken Form der Bevormudung entgegen zu wirken.

Wer darin einen Widerspruch erkennt, der ist ein woker Hippie, eine woke Hippie oder jemand, der sich als wokex Hippie identifiziert (was in der Wahrnehmung — da haben wir es wieder: Wahrheit wird wahrgenommen, und deswegen ist es wahr, was der Kulturstaatsminister wahrnimmt. BASTA! — also was in der Wahrnehmung diese Befreiung nicht als solche wahr nimmt).

Überhaupt kann man sich vom Godfather der Wahrheit einiges abschauen. WAHRHEIT MUSS GROßGESCHRIEBEN WERDEN.

Ich persönlich finde es ziemlich mau, dass der Kulturkampfsekretär nur seinen 470 Mitarbeitenden, Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen verbieten darf, sich künftig nix mehr verbieten zu lassen, was die „Mehrheit will“. Die will offenkundig vieles, was ziemlich mies ist. Aber das ist nur meine Wahrnehmung.

Viel besser wäre es doch, wenn sich gleich alle Bürgerinnen und Bürger, und die Menschen, die sich als Bürger ohne binäre Einordnung wohler fühlen, an dieser Freiheitsmaßnahme beteiligten. Das wäre schön, dann bräuchte man auch keine verbotsaufhebenden Verbote mehr. Die ja nur formal nicht für alle gelten, das ist ja wohl mal klar. Wahrheit ist, wenn sie von eine_r CDx-Sekretär*in (huch) kommt, ja universell.

☆☆☆

Das hätte übrigens meinem vermutlich wenig sorgfältig entnazifiziertem Lehrer, Herrn Heeger, gut gefallen. Freilich genügt hätte es ihm nicht, denn in seiner Welt bestand die Deutsche Sprache schon in den 70ern aus unerträglich vielen Einwanderern und undeutschen Ideen, die er versuchte mittels Noten mindestens mal aus uns heraus zu educaten — neudeutsch zu remigrieren.

Ayatollah Heeger

Mein Erdkunde-Lehrer war gerne Deutscher. So gerne, dass er uns neben der Erdkunde-Zensur auch eine für rechtes Schreiben gab und in seiner Freizeit für die Reinheit der deutschen Sprache focht. Für Anglizismen gab es Abzüge. Omnibus sollte es heissen, statt dem verkürzten ‚Bus‘, denn der sei schließlich für alle da.

Das Lineal hieß Richtscheid.
Punkt hieß Tupf, Komma Strich. Semikolon Tupf-Strich.

Heute noch klingt Semikolon für mich nach reiner Rebellion:

Heeger ruft den Deutschen zu: „Trennt euch doch von der Toilette, werft ab der fremden Sprache Kette und strebt fortan dem Zwehlchen zu, dann findet mein Gewissen Ruh! So mahnt der Muttersprache Pfleger. Verbindlichst grüßt Ihr Heinrich Heeger.“

Nicht nur als Vereinsvorsitzender, sondern auch hauptberuflich kann sich Heinrich Heeger als „der Muttersprache Pfleger“ betätigen: Er lehrt an einem Gymnasium in Hamburg-Othmarschen Deutsch und Erdkunde. – Der Spiegel, 46/1970

(Ajatollah nannten wir ihn wegen seines weißen Rauschebartes. In Erdkunde hatte ich immer eine 2. In Rechtschreibung eine 4. Dagmar hatte eine 6, weil sie gelacht hatte, aber das ist eine andere Geschichte)

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