Ich liebe – Ein Reply aus Altona
Ich liebe. Das könnte auch hier das Ende sein, aber auch ich liebe Sätze, die sich wie Betrunkene aneinander klammern. Ich liebe Worte, die sich stapeln wie Container im Hafen. Ich liebe Segelboote, die gegen den Wind kämpfen wie Philippe Djians Protagonisten gegen ihre eigenen Dämonen.
Ich liebe den Geschmack von Salzwasser auf den Lippen nach einem Tag auf See. Ich liebe alte Männer in der Hafenkneipe, die ihr Seemannsgarn spinnen, ohne zu wissen, das ist Literatur. Ich liebe Möwen, obwohl sie mir einmal mein Fischbrötchen geklaut haben. Ok, das war gelogen. Ich liebe, wie überrascht ich war, als ich merkte, dass mein Segelboot surfen kann.
Ich liebe Fischsuppe aus Altona. Ich liebe Schreibmaschinen, egal ob sie noch funktionieren. Ich liebe mir vorzustellen, ich wäre eine Möwe, die sich vorstellt, wie es ist, ein Mensch zu sein im Hamburger Winter, mit einer Mütze aus Seetang auf dem Kopf. Ich liebe Liebesbriefe oder Hilferufe (was ja aus einer gewissen Sicht dasselbe ist), die als Flaschenpost die Elbe hinunter (und zwischendurch immer mal wieder hinauf, fast nach Teufelsbrück) treiben bis sie ungelesen den Atlantik erreichen. Immer noch voller Hoffnung.
Ich liebe scheue Hafenkatzen. Ich liebe Frontschweine, die ihren Text vergessen. Ich liebe das nervöse aber wohlwollende Verständnis in den Brüsten ihrer Zuhörer. Ich fühle mit Möwen, die ihre gierigen Küken entwöhnen. Ich liebe das Lächeln von Menschen mit schiefen Zähnen.
Ich liebe, dass Hummeln mit den Füßen schmecken. Ich liebe es, wenn es so kalt ist, dass ich als Erster über den glitzernden Schnee im Park laufen kann. Ich liebe Bücherschränke auf der Straße, die sich magisch wieder auffüllen.
Ich liebe, wie meine Tochter Kniffel zu ernst nimmt. Ich liebe meinen ersten Schwarm aus der vierten Klasse, wo auch immer sie ist, was auch immer aus ihr wurde. Ich hörte, sie ist nicht weit gekommen. (Dein Mixtape mit The Police und Adam Ant habe ich noch!).
Ich liebe vergessene Telefonzellen auf dem Bahnsteig. Ich liebe dänische Lakritze. Ich liebe den schiefen Mond über dem Hafenkran, der noch voll werden will.
Ich liebe die sechs perfekten Löcher in meinen abgetragenen Segelstiefeln. Ich liebe, dass Lachen ansteckender ist als Covid. Ich liebe die erlösende Romantik von Einfahrten in den Heimathafen. Ich liebe es, auf einer letzten garstigen Welle ins Hafenbecken zu surfen.
Ich liebe es, Menschen zu sehen, die am Straßenrand anhalten, um einen Regenbogen zu fotografieren. Ich liebe, dass ich fast alles mit Segelgarn und Klebeband reparieren kann. Ich liebe es, meine Partnerin rufen zu hören: „Welche Leine zuerst?“ Ich liebe, aus einem Fenster zu schauen, an das Starkregen prasselt.
Ich liebe es, leisen Tönen und lauten Liedern zu lauschen. Ich liebe Loppe Markets in Garagen. Ich liebe Papierflieger im Stadion zu basteln. Ich liebe, dass die Muscheln am Strand nix kosten.
Ich liebe Cafés am Sonntagmorgen, die so französisch sind, dass man glatt vergisst, dass man in Ottensen ist. Ich liebe Menschen, die ein hartes Leben haben und sich trotzdem ihre Freundlichkeit partout nicht nehmen lassen wollen. Ich liebe es, in Pfützen zu springen und zu sehen, wie der Matsch zur Seite spritzt (und mein Hosenbein hoch).
Ich liebe, dass B. mir immer Hundevideos schickt. Ich liebe den flüchtigen Moment des Ärgers, wenn jemand mich beim Schreiben unterbricht und bittet, mir doch stattdessen mal lieber aufzublicken und den Sonnenuntergang anzusehen. Ich liebe den Augenblick danach, wenn ich erkenne, dass ich als wahrer Autor jeden Text für jeden pinken Abendhimmel fallenlassen muss.
Ich liebe, was ich mit Menschen gemeinsam habe, mit denen ich nichts gemeinsam habe.
Ich liebe, dass meine besten Freunde mich aufziehen, auch wenn ich traurig bin. Ich liebe die Baristas in schicken griechischen Cafés, die wissend lächeln, wenn ich ein St. Pauli Shirt trage. Ich liebe alte Kneipen mit Schildern „Hier gibts Holsten Export“. Ich mag das Wattenmeer. Aber ich liebe die Ostsee.
Ich liebe, wie viel länger diese Liste wäre, wenn der Sonnenaufgang über der Bucht von Kiel nicht in genau diesem Moment nach mir riefe.
Und ich liebe euch alle, weil ihr euch dafür interessiert, was ich liebe. Was liebt ihr heute?
Ganz viel Liebe, aus Altona 🖤
(Dieses Gedicht ist eine Replik auf die wunderbare und viel zu früh, dafür mit soo viel Würde verstorbene Andrea Gibson und ihr Gedicht „What I love“)
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