500.

Als ich noch ein junger Blogger war, da gab es einen unter uns, der ganz besonders schöne Prosa schrieb. Sein Blog hieß „500 Beine“.

Soweit ich weiss, schreibt er heute noch. 500 Zeichen kann Mastodon zu einem Post verarbeiten, was mich an die Zeit erinnerte, als jeder über sein eigenes digitales Zuhause (Blog) mit anderen verknüpft war.


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Liveaboard Logbuch – ein Episoden-Roman

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Inspiriert vom echten Leben als Segler, aber überecht und in weiten Teilen fiktional. (Ähnlichkeiten mit lebenden Personen und Begebenheiten sind rein zufällig, isch schwör!)

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Keinen Zug mehr …

Logbucheintrag vom 4. Mai
Sonnig, Wind umlaufend und schwach. Luft 12 Grad, Wasser knapp 10.

windy.com

Heute Nacht habe ich vergessen, die Heizung anzumachen. Besser gesagt: ich dachte der Rotwein, den ich zum selbstgekochten Essen genossen habe, würde mich genug wärmen; es würde schon nicht so kalt – außerdem schlafe ich gerne auch im Winter bei offenem Fenster. Das macht mir nix aus.

Pustekuchen. Nachts kühlt es an der Ostsee noch bis auf 2 Grad runter. Was den Innenraum meines Bootes wärmt ist ausgerechnet die 10 Grad kalte Ostsee. Zusammen schaffen Luft und Wasser ein ideales Kühlschrankklima. Acht Grad, da hält sich auch ein in die Jahre gekommener Autor frisch.

Nur wenn ich die Zehen oder Arme ausgestreckt habe, wurde ich wach, weil langsam die Kälte in meinen Ellbogen kroch, beispielsweise. Der schmerzt seit meinen Arbeiten am Rigg immer doller. „Da wo die Knochenhaut mit der verspannten Sehne arbeiten muss, da tut es weh“, erklärte mir der „Knochenbrecher“ genannte pensionierte Orthopäde, den ich mit den anderen Einheimsichen langsam in der Hafenkneipe am Fuße der Mole kennenlernte. „Ich solle mich da vorsehen“, sagte er noch, „das kann schnell chronisch werden“.

Im Mai wird es schon früh hell. Der Frühling fühlt sich gut an, so neu. Ein Versprechen auf sonnige Wochen. Wir haben zunehmenden Mond, der, so erklärte mir der Knochenbrecher, den ich eher als Streichler kennenlernen durfte, macht das Wetter gut. Wieso der Mond das könne, wisse er nicht. Aber den Mond solle man nicht unterschätzen. Der könne Berge bewegen und um die Welt schicken. Berge aus Wasser. Warum dann nicht auch das Wetter.

Prima, dachte ich, als ich der scheuen Sichel am Himmel gestern gute Nacht sagte. Ich war gut gelaunt und wollte nun endlich lossegeln; meinem neuen Leben entgegen.

Die Fischer saßen schon bei ihrem Pausenbier. Von ihren Kunden war weit und breit nichts mehr zu sehen. Drei von ihnen heissen Bernd, das macht es einfach, die Gruppe zu grüßen. „Moin Bernds“, rufe ich beim Vorbeigehen. „Moin Pit“, ruft ein Bernd zurück.

Ich bezahle mein Liegegeld beim Hafenmeister, als mich Hauke kurz anstupst. „Du liegst jetzt sechs Wochen hier“. „Ja?“, frage ich und rechne kurz nach. Tatsächlich. „Damit hast Du quasi das Liegegeld für die ganze Saison bezahlt“, erklärt mir der Hafenmeister. „Von nun an, liegst du gratis – wenn du wiederkommst“, sagt er. Und ergänzt: „das ist ja sicher bald“.

Ich verklemme mir, ihn einzuweihen, dass ich schnell Meilen machen will. „Das merkt er sicher schnell genug“, denke ich als ich winkend das Hafenhäuschen verlasse, auf dem oben eine kleine gläserne Pyramide thront. Wie eine Antenne in den Himmel, reckt sie sich nach den verblassenden Sternen. Innen drin glimmt etwas, so scheint es mir heute, so als bündele sie das Licht des jungen Morgens. „Wer weiss, was sie mit der Energie der Nacht so anstellt?“, denke ichl als ich die Böschung zu meiner inzwischen lieb gewonnen Mole entlang gehe.

Als ich mein Schiff zum Auslaufen klar mache, werfe ich einen langen Blick auf Ivans Boot, das träge neben meinem dümpelt. Alles ist verschlossen, von Innen dringt kein Laut. Ivan ist immer noch nicht zurück aus Hamburg. Ich stelle fest, dass seine Abreise nun auch schon fast eine Woche her ist und ärgere mich ein wenig, dass wir keine Handynummern ausgetauscht haben.

Ich schreibe vor dem Ablegen meine Handynummer auf einen grünen Post-it und klettere beim ihm an Bord, um meine Kontaktdaten an seine Cockpit-Tür zu hängen. Auf seinem Vorschiff liegt ein großer Fischkopf, der mir jetzt erst aufällt. Gestern war der noch nicht da. Es handelt sich um den Kopf eines der hier heimischen Buttarten, eine Art Scholle nur kleiner. „Den hat wohl eine Möwe im Flug verloren“, denke ich und schmunzel für mich selbst dahin, als ich laut ergänze: „mit der hiesigen Mafia wird sich Ivan ja wohl nicht angelegt haben“.

Ich starte den Diesel und rutsche mit langsamer Fahrt auf die Förde. Leicht kräuselt der schwache Wind die Ostsee. Das Windex am oberen Ende meines Mastes zeigt stur in Fahrtrichtung. Ein Zeichen dafür, dass kaum Wind weht. Ich will trotzdem los und weiter in Richtung Norden. Bisher habe ich mich noch nicht entschieden, ob ich in die Schlei oder das weiter entfernte Bagenkop auf der dänsichen Insel Langeland motore.

Als ich noch darüber nachdenke, wo ich lieber sein möchte, verliert der Motor immer mehr an Zug. Ich schaue nach, ob ich aus Versehen an den Gashebel gekommen bin. Das passiert gerne mal, und ich erschrecke mich jedes Mal dabei. Der Gashebel steht aber da, wo er stehen soll. Nur der Motor macht keine 2.000 Umdrehungen, so wie er soll. Stattdessen wird der Schub vorwärts immer weniger, bis der Motor nach einem kurzen Schnaufen ganz ausgeht.

„Schiet!“, rufe ich laut in die kühle Luft und versuche den Motor wieder zu starten. Er springt auch an, fährt los, beschleunigt kurz, nur um diesmal in kürzester Zeit wieder an akuter Erstickung zu sterben.

Ich habe das Boot mit neuem Motor gekauft. Eigentlich habe ich an vielen Stellen Probleme vermutet, immerhin ist meine Schwedin schon 40 Jahre alt. Nur beim Motor hab ich gedacht: „der macht sicher keine Zicken, der ist ja neu“. Was gut ist, denn ich habe von Motoren so gar keine Ahnung.

Der kleine Hafen an der Kieler Förde ist keine zwei Seemeilen entfernt und so entscheide ich mich, die Genua auszurollen und gegen den schwachen Westwind zurück zu glitschen.

Es dauert eine halbe Stunde, bis ich unter Vorsegel mich an einem Pfahl festmache. Hauke steht am äußeren Steg und grinst ein breites Grinsen, das um den ganzen Kopf zu reichen scheint. Wären da nicht seine Ohren, diese Grinsen verliefe ringsrum.

„Willkommen zurück“, ruft er. „Hat schon Vorteile, Segler zu sein“, ruft er hinterher und macht sich auf den Weg, mir beim reintreideln in meine Box zu helfen.

„Ich sag doch, es gibt Leute, die kommen hier nicht mehr weg“, scherzt er, als ich ihn nach einem Bootsmechaniker frage. „Da nimmst Du am besten Joe, der hängt hier immer im Hafen rum und macht seine Sachen schnell fertig. Gibt keinen Motor, den der nicht wieder hinbekommt“, sagt Hauke und zeigt auf einen gelben Ford-Kleinlaster, an dem die Südstaatenflagge prangt, neben den Aufklebern aller gängigen Bootsmotorenhersteller, Volvo Penta, Yanmar und ein paar anderen, die ich nicht kenne.

Ivans Boot dümpelt immer noch an seinem Liegeplatz; nur mein grünes Post-it, das mit meiner Handynummer drauf, das ist weg.

„Wasser im Schiff“

so langsam lebt sich mein Protagonist Pit in dem kleinen Hafen an der Kieler Förde ein. Du liest die 4. Episode meines Logbuch-Newsletters. …

Logbuch: 23. April
Wind: 10 Knoten aus Nordost,

in Böen 20 Knoten
Temperatur: Wasser 9, Luft 11 Grad Celsius

Windy.com

„Im Windschatten ist schon Frühling“, denke ich als ich aus ihm heraus trete und am Hafenrand entlang in Richtung Schilksee schlendere. Der Osten Wind steigt mir von hinten in den Kragen. Es ist immer noch sonnig, und immer noch empfindlich frisch.

So langsam füllt sich das Becken im kleinen Hafen. An Land dengeln die Menschen an ihren Booten herum, bevor es für die neue Saison wieder in ihr eigentliches Element geht. Es riecht nach Bioziden in allen Farben, die seitdem die Nachttemperaturen im deutlichen Plusbereich liegen von den Jachteignern auf ihre Unterwasserschiffe gepinselt werden. Um Muscheln und andere Meeresbewohner durch Vergiften zu vergraulen.

Ich begrüße den Hafenmeister, der in diesen Tagen meist am Kran anzufinden ist. Er steht da immer mit der gleichen Pose; im Mund eine angezündete Fluppe und in der Hand die Fernbedienung des Krans. Grundentspannt schaut er irgendwie unbeteiligt dem Treiben zu. Um ihn herum wuseln aufgeregt die Eigner der zu kranenden Boote. Ein Segelboot, das an Land liegt, wirkt schon unnatürlich; eines, das an einem Haken hoch in der Luft hängt, macht Bootseigentümer nervös. Mich auch; jedesmal aufs Neue.

„Jetzt sehen sie noch sauber und schier aus“, sagt der Hafenmeister – der mir letzte Woche angeboten hat, ihn doch bitte auch „Hauke“ zu nennen, wie alle hier – als ich mich zu ihm stelle und erst einmal versuche fachmännisch dreinzublicken. „Im Herbst hebe ich dann eine 1/4 Tonne Gras, Muscheln, Pocken und grünen Schleim wieder mit raus.“

„Die meisten Boote werden einfach zu wenig bewegt“, sagt Hauke noch und ergänzt, „oder sie gehören denen, die hier einfach nicht mehr weg kommen“.

Yacht in den Seilen

Ich will gerade fragen, wen er damit meint, als aus dem Inneren der gerade gekranten Segelyacht, einer wunderschönen aus altem Mahagoni, ein Schrei ertönt: „Wasser, Wasser, hoch, hoch“ kommt als geschrieene Anweisung bei uns an. Wasser im Schiff; „zum Glück hängt es noch in den Gurten“, denke ich und schaue zu, wie Hauke die Yacht auf „halb acht“ hoch hebt.


„„Wasser im Schiff““ weiterlesen

Read-out loud: Helsinki – eine Hafenkneipen-Bekanntschaft

Du hörst die dritte Episode meines Logbuch-Newsletters, mit den fiktiven Abenteuern von Pit, der (bisher) allein auf seiner schwedischen Segelyacht lebt.

Logbuch-Eintrag vom 18. April.
Revier: Kieler Förde, Ostsee.
Wasser: 5,4 Grad Celsius.
Wind 2-3 Beaufort aus Ost, auf Nordost drehend …



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SS-20 Raketenangst

Foto: Miradortigre

Die Erinnerung überfiel mich morgens um fünf.

Torstens Eltern hatten einen Atombunker, und deswegen war er für mein 14-jähriges Ich ein Experte.

1982 war ein langer Winter, der auch unsere Klassenreise beeinflusste. Wir waren geradezu sträflich unvorbereitet vom Hamburger Vorfrühling in die Harzer Berge versetzt worden. Vier Stunden im Bus albern. Beim Herumstapfen auf sonst urigen Waldwegen versank mein Freund Axel bis zum Bauch im Schnee.

Die Nässe war zu kalt, unfair klamm geradezu. Die Wände des Schullandheims gaben ihr Bestes. Trotzdem wurde es nicht warm.

Zum Graubrot mit Käse und Teewurst gab es Hibiskustee aus einer grossen Stahlkanne. Wärmer wurde uns davon nicht.

Abends kuschelten wir uns unter die Decken. Ich war einer der stärkeren Jungs, ich lag oben. Axel, der sehr blonde Haare hatte, fragte: kann denn dein Bunker auch einer Neutronenbombe wiederstehen?

Ich hatte ja keine Ahnung, in welcher Gefahr ich mich befand, als Torsten im Detail erklärte, was Neutronen, von der Bombe beschleunigt, mit dir anstellen. 

Wir alle haben die ganze Nacht nicht geschlafen. Ich erinnere mich noch, dass nie Vorstellbare sich umarmten. Ich hatte so eine Angst, dass ich beim Blick aus dem Fenster der Jugendherberge den Himmel über den Kiefern absuchte, nach Anzeichen von russischen SS-20 🚀.

Roter Februar

20. Februar

Normalerweise vermied sie rot. Heute nicht. Heute hatte sie einen beinahe grellen, leuchtenden roten Wollpullover an. Der Pullover war aus Italien und ein Erbstück ihrer Großmutter. Die Sinuskurven der Mode hatten dafür gesorgt, dass er nun wieder modern war.

Als sie sich im Spiegel betrachtete, gefiel ihr der Schnitt, die immer noch volle Wolle. Der leichte Puff, der sich am Übergang von den Armen zur Schulter auflegte – ohne zu übertreiben. Sie würde damit auffallen und das war ihr normalerweise zuwider. Mehr noch, sie versuchte eigentlich um beinahe jeden Preis, Aufmerksamkeit zu vermeiden. 

Aber es war Februar, der Winter schon lang und das Licht aller Wärme beraubt. Draussen matschte alles in einem Brei von Grau und Braun zu einem kühlen, dem Körper permanent Lebenskraft entziehenden Farbton zusammen. Da war dieser roter Pullover ein Statement.

Zwei riesige Tannen winkten mit ihren ausladenden Ästen vom Grundstück gegenüber zu ihr herüber. Sie hatten gerade den letzten Winterorkan überstanden. Sie stellte sich vor, dass sie sich sicher freuten, noch am Leben zu sein. Vielleicht gefiel ihnen auch der rote Fleck lebendiger Rebellion, der sich ihnen darbot.

Sie wollte gerade das Haus verlassen, um sich in den samstaglichen Einkaufsstrudel einzureihen, ging sie stattdessen – einer spontanen Idee folgend – auf den Balkon, stellte einen Strauß gelber Narzissen auf den Balkontisch, der über den feuchten norddeutschen Winter eine schleimige grüne Patina bekommen hatte. An alle vier Ecken des Tisches platzierte sie von Weihnachten übrig gebliebene Orangen. Zusammen mit ihrem roten Pullover bastelte sie eine Waffe gegen den grauen, klammen Tod, der aus Westen heran wehte.

Die Sonne verdunkelte sich. Kalte Nadeln aus Hagelkörnern stachen ihr ins Gesicht und durch das poröse Strickmuster. Innerhalb von 20 Sekunden war sie pitschnass. Bis auf die Haut durchnässt von diesem Niesel, den es nur im Norden gibt. Der so dicht ist und mit Wind gepaart über einen herfällt, einen umhüllt und keine drei Schritte genügen, jeden pitschnass zu bekommen.

Eine Windboe von gut und gerne zehn Beaufort stieß die Vase mit Narzissen um, einige knickten dabei ab und rissen auf dem Weg zum Balkonboden eine Orange mit. Langsam rollte die Orange an die Kante, verharrte dort einen kleinen Moment, bevor sie auf der Terrasse der Nachbarn zerklatschte; als würde sie sich noch einmal zum letzten Gruss umdrehen, dachte sie und reckte spontan die Faust dem Regenschauer entgegen.

So gut sich ihre bunte Rebellion eben noch anfühlte, so dumm kam sie ihr jetzt vor. Die braun-graue Realität hatte ihren farbenfrohen Aufstand in Sekundenschnelle in sich zusammensacken lassen.

Als die letzte Boe des Tages, sich an den beiden Tannen gegenüber vergriff, sie zu Boden brachte (drei Tage Wind und Regen, war den beiden einfach zu viel geworden; der Boden weich, die Wurzeln müde), fing sie an leise zu weinen.

Sie schälte eine der übrig gebliebenen Orangen und biss hinein. Der warme Zucker im Saft der Orange glitt ihre Speiseröhre hinunter und erleuchtete sie von innen. 

Sie hatte nun gerade genügend Kraft, hineinzugehen und die Balkontür hinter sich zu schliessen. Kraft sammeln. Für den März. Ans Einkaufen war heute jedenfalls nicht mehr zu denken.

Photo credit: onesevenone on VisualHunt