Karlo sitz!

Blick über den Fjord.

Dean und ich sitzen bei Karlo und trinken nebenbei Bier. In der Hauptsache schauen wir den Touristen zu, die wahlweise widerwillig, belustigt oder ein wenig verschämt den umfunktionierten Sonnenschirmstil mit ihrer Tischnummer hochziehen, damit sie endlich bedient werden.

Das peinliche System hat sich Karlo ausgedacht. Dean meint, aus Boshaftigkeit, so wie Karlo überhaupt alles mit einer tief sitzenden Boshaftigkeit macht. Auch die Sachen, die er als gut vermarktet, wie die blutjungen Mädchen, die er angeblich persönlich anlernt. Die meisten bleiben nicht lange, wobei unklar ist, ob sie vor Karlos Avancen fliehen oder den schlappschwänzig geilen Anmachen der Stammgäste. Nur Magdalena ist noch da. Ist Ihre dritte Saison und damit Legende.

„Karlo macht für sie sogar Sitz“, meint Dean und verarbeitet mal wieder seine Lieblingsanekdote über Karlo. Der hatte letzten Sommer eine mollige Dame aus Brandenburg des Lokals verwiesen, weil sie einen Hund dabei hatte, einen Pudel mit deutscher Frisur, der partout nicht sitzen bleiben wollte und dem sie in schneller Abfolge immer wieder „Karlo sitz! zuschrie.

Wir lachen beide, legen noch einen langen Blick auf die still daliegende Ostsee und auf Magdalena, bevor wir uns auf den Weg machen.

Magdalena schaut kurz zu mir rüber, bevor sie sich mit gezücktem Portemonnaie an den Tisch mit der 23 stellt, die Stange emporgereckt, Ungeduld in Höchstform.

Fischköpfe gibts gratis

  1. Juni

Wenn es windstill ist, kann er immer schlecht schlafen. Heute wachte er gegen 6:30 Uhr auf und sprang trotz der bleiernen Müdigkeit, die sich vornehmlich in seiner Nackenmuskulatur konzentrierte aus der Koje. Es würde nicht besser werden, wenn er noch liegen blieb.

Von der Hitzewelle der letzten Tage war nichts übrig geblieben. Komisch, dachte er, wenn es so heiß ist, dass Dicke zerfließen, kann man sich gar nicht vorstellen, dass man mal wieder Hoodie tragen wird. Dann kommt einem der Sommer so endgültig vor. Ist er nicht, schon gar nicht hier oben im Norden.

Vor dem Hafenbüro war noch alles still. Nur zwei Schwäne putzten sich synchron das Gefieder. Knabberten mit ihren Schnabelspitzen vom Stiel nach oben ihre schlohweißen Federn sauber. Eine Meisterschaft auf Lebenszeit, war es nicht so, dass Schwäne ihr Leben lang zusammen blieben?

Nach den heißen Tagen, in denen die Netze der Fischer leer blieben, waren heute zwei mit Schollen in den Netzen wiedergekommen. Vor den Fischkuttern standen die üblichen Aufkäufer: Vietnamesische Restaurantbesitzer, polnische Männer, die während des Redens rauchten und zufällig vorbeigekommenen Touristen, die sich neugierig im Hintergrund hielten und an ihren Schalke 04 Sandalen gut zu erkennen waren.

„Ich hätte die Fische gerne mit Kopf“

„Ich hätte die Fische gerne mit Kopf“, sagte der Pole und war trotz Fluppe im Mundwinkel gut zu verstehen. An der Zigarette mit goldenem Filter hatte sich eine beeindruckende Asche gebildet hatte, die aber aus unerfindlichen Gründen nicht abfiel.

„Den Kopf muss ich abmachen“, entgegnete der Fischer im ortsüblichen Dialekt. „Aber ich kann ihnen die Köpfe separat einpacken“. Er machte eine kurze Pause und ergänzte: „Und ein paar mehr Köpfe kann ich ihnen auch noch dazu tun, wenn Sie wollen? Gratis.“

„Ja bitte“, sagte der Mann. „Die Köpfe sind für mich“.

Ein Tourist mit bunten Schlappen fing an zu kichern. Die vietnamesischen Männer drum herum schauten unbeteiligt und drängelten nun nach vorne. Köpfe gabs umsonst dazu; ein Glückstag. Wenn auch ein bewölkter.

Ikonen

Photo credit: Sebastián-Dario on Visualhunt.com / CC BY-NC

Diese Woche ist eine der Ikonen des Fussballs gestorben, Armando Diego Maradona. Nun, eigentlich ist nur der Mensch gestorben, der mit seiner aussergewöhnlichen Art Fussball zu spielen, dieser Ikone erst leben eingehaucht hat. Die Ikone selbst lebt natürlich weiter. Ist vielleicht jetzt, da der Mensch nicht mehr stört, lebendiger und größer, als je zuvor.

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Was muss das für ein Gefühl sein, von anderen Mitmenschen und Zeitgenossen in den Olymp gehoben zu werden. Zuerst ist es bestimmt toll. Aber irgendwie sehnen sich diese Wesen doch nach der guten alten Erde zurück, nehmen dafür Drogen und Abstürze in Kauf. So sehr wollen sie von da oben wieder weg.

Und da macht es meiner bescheidenen Erkenntnis nach auch keinen Unterschied, welcher Herkunft diese Ikone ist. Maradona kam aus armen Verhältnissen, Che Guevara war Bürgersohn. Und Massenmörder. Trotzdem taugt er bis heute zur Ikone.

Das 1960 von Alberto Korda aufgenommene Portait des zum „Commandante“ gereiften Arztes ist unverlassbare Heimat der Ikone, die dem lebendigen Che längst entrückt ist. Selbst mit dem Kommunismus hat diese nicht mehr viel am Hut. Man kann Eiscreme und Strampler ihr verzieren. Dass auch dieser Mensch aus Argentinien kam, spielt keine Rolle mehr.

Ikonen sind dabei ziemlich machtlos. Sie können aufgeladen und wieder entladen werden. Bei Che Guevara, dessen kubanische Tagebücher mich wegen der Kälte faszinieren, mit der dieser Mensch anderen das Leben genommen hat, obwohl er als Arzt schwor, eben dieses zu schützen, hat mir die Ikone gleich mit vergällt. Anderen ist das egal. Sie laden Che mit dem reinen Widerstand auf, den sie dann auf Pegida-Demos tragen. Guevaras ikonische Fotografie auf den Bauch gedruckt. Er kann sich nicht mehr wehren, der Brutalisnki schweigt. Die Ikone wirkt.

Wissenschaftlich klingt das dann so: „Pop-Ikonen bilden einen eigenen diffusen Horizont von Bedeutungen aus, der sich als Stil- und Design-Phänomen niederschlägt, so dass sie sowohl in eine ökonomische wie symbolische Zirkulation eingestellt sind. … Polit-Figuren wie Mao Tse-Tung oder Che Guevara, selbst Adolf Hitler, können zu Bild-Zeichen werden, die im populärkulturellen Gebrauch zu reinen Stil-Figuren absinken, die ursprüngliche Repräsentanz als Vertreter kultureller, ideologischer oder politischer Richtungen einbüßen und zu allgemeinen Indikatoren von Lebens- und Welthaltungen werden.“ Lexikon der Filmbegriffe der Uni Kiel

Mir scheint es so, dass Ikonen gemeinsam haben, dass sie immer auch fehlbar sind, menschlich Fehlerhaft oder sogar Böse. Maradonas bizarre Auftritte auf den Rängen der letzten WM sind mir da noch gut in Erinnerung. Und werden bald verblassen. Während die Ikone überlebt, herausgelöst aus der Zeit, die sie prägte.

Ich, Paketannahmestelle für Terroristinnen

Als ich in die linke Tasche meiner Jacke fasse, raschelt es. Ich finde drei Einwickelpapiere von mini Daims. Ich erinnere mich nicht, sie jemals gegessen zu haben.

Ich werfe sie gedankenverloren in den Mülleimer, dessen ausgefeilte Klappdeckeltechnik nach zehn Jahren aufgegeben hat. „Ich kann ich mich nicht erinnern“, denke ich kurz, wann das noch heil war. Ich habe mich eingerichtet in dem Verfall. Ist mir immer noch lieber so, als die Anstrengung, das alles, diese vielen Kleinigkeiten zu reparieren oder weggeschmissen zu erneuern. Ich kann das alles sehr gut verdrängen, sehe nur ein kurzes Leuchten hinter meinem blinden Fleck.

Ihr wäre das alles aufgefallen. Und es hätte sie gestört. Unentwegt hätte sie Erneuerung und Engagement gefordert. Nicht zu verteidigen, weil sie ja immer recht hatte – eigentlich.

Der Bote mit dem fiesen Lächeln klingelt. Ich höre das schon an der Art, wie die elektronische Signalgeberin sich quält. Selbst diese einfache elektronische Schalte mag ihn nicht, da bin ich sicher. „Können Sie ein Paket fuer Wumsikowski annehmen, aus dem 5. Stock?“, fragt er rhetorisch und fügt heute eine geheuchelte Erklärung hinzu: „sind nicht da, hab geklingelt“. Meine Klingel zwinkert mir zu und schüttelt mit dem Kopf, ‚nee, hat er nicht‘, will sie mir damit sagen.

Seit Corona muss man immerhin nix unterschreiben, keinen Kontakt mit der weltweiten Logistikkette riskieren, die neben Plattfernsehern und Schnellschleifern auch alles mögliche andere durch die halbe Welt kutschiert. Nachdem ich die Tür geschlossen habe, sehe ich mir das Paket kurz genauer an. Es ist flach und ganz und gar mit braunem Packpapier verschlossen.

Da dringt nichtmal Knoblauchgeruch durch, denke ich. Und wer war nochmal Finja Wumsikowski? Hatte ich diese Frau jemals gesehen? Im Treppenhaus? Vielleicht beim Vorübergehen. Eher Vorüberhuschen. Irgendwie tauchen in den letzten Jahren immer neue Leute hier auf, die ganz selbstverständlich den Schlüssel im schweren Schloss an der Haustür umdrehen. Wo kommen die alle her? Und wohin verschwinden sie wieder? Hat sich das mal einer gefragt, ausser mir jetzt?

Ob ich das Paket einfach aufmache? Immerhin habe ich ja den Empfang gar nicht quittiert. Neugier breitet sich in meinem ganzen Körper aus, fliesst durch meinen Kopf und erregt mich. Ich schüttele das Paket, aber es bewegt sich nichts.

„Es gibt keinen Weg zurück“, denke ich kurz, als ich die Schere aus der Küche an das braune, glänzende Paketband ansetze. Und wie stumpf und verrostet sie ist – die müsste ich eigentlich mal wieder schleifen, denke ich noch, bevor sich aus dem Paket etwas Bahn bricht – direkt in mein Gesicht.

Dieser Text ist in der surrealistischen Form der Ecriture Automatique aufgeschrieben. Photo credit: hombertho on VisualHunt.com / CC BY-NC-SA

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Silvester auf dem Altonaer Balkon

Ich lebe in einem Stadtteil von Hamburg, durch den immer mal wieder Menschenketten ziehen. Die einen werden von den lokalen Behörden umgeleitet, wie die Karawane von Drogendealern, die vor beinahe 20 Jahren an meinem Wohnzimmerfenster in Richtung Hafen und von dort zurück zum Altonaer Bahnhof wanderte, weil ihnen der direkte Weg versperrt war.

Andere, vor allem die regelmäßig wieder stattfindenden Prozessionen, verbietet die Polizei nicht (auch wenn da mindestens so viele Drogen im Spiel sind, aber darum soll es hier gar nicht gehen). Zu Ostern beispielsweise, schleppen junge und mittelalte Männer und Frauen kistenweise Bier an den Elbstrand. Die geübten Osterfeuerenthusiasten, meist die aus Pinneberg, einem Stamm aus dem Nordwesten, der immer mal wieder zum Saufen in Altona einfällt, setzen auf Schnaps; die mit Stil nehmen guten jamaikanischen Rum an das Ufer der Elbe mit — schicken ihn als Dora 12 nach Hause zurück. Im Sand lassen sie zersprungenes Glas und schleichen sich im Dunst des rauchenden Feuers in die S31.

Silvester soll nun das Böllern (und jede Form von Feuerwerk?) verboten werden. Es ist Corona-Time. Ausnahme formiert sich zum neuen Is‘-so Und das erste Mal in meinem Leben in Altona überlege ich ernsthaft, ein zweites Mal an Silvester zum Altonaer Balkon zu gehen. Denn, so kann man erwarten, fällt die Umland-Karawane dieses Jahr aus, steigt das Überlebensrisiko.

Wird es eine klare Nacht, wenn der Dunst verbrannten Schwarzpulvers aus Polen fehlt? Arbeiten da Menschen gegenüber im Hafen oder sind das Roboter, denen Pinneberg nichts sagt?

Ob sie auch dort gerade in den Himmel schauen?

Dieser Text ist nach der Methode der Ecriture Automatique geschrieben, und ein weiterer Versuch, mir das Bloggen wieder beizubringen. Abonniere meine Texte gerne und kommentiere, was Dir ge- oder missfällt.

Wer bist du?

screenshot, Ausschnitt: wen Facebook mir vorstellen will

Ich brauche nicht viel. Wind weht um meine Nase. Das ist gut. Und doch gibt es eine Perücke, die mich zeigt. Die ich heute ziere und zeige. Mein Profil.

Ich mag es, wenn ihr reagiert. Es ist. Es fühlt sich lebendig an.

Und dann, wenn ich allem folge, das ich kenne? Dann wirst du fremd. Obszön fremd, denn wir haben soviel gemeinsam.

Wer bist du?

Die Maske

Permanent vom gesunden Menschenverstand bewacht, geilt der Drang, den Käfig der Logik sprengen zu wollen.

Immer sich selbst wiederatmend, im eigenen Dunst erstickend, ist das Weglassen seine Revolution.

Und auf Twitter gibts Applaus.

Café Caravela – Verreisen in der eigenen Stadt (Hamburg)

Kurze weite Reise: Portugiesische Cafés in Hamburg

Es gibt Reisen, die finden innerhalb der eigenen Stadt statt – und man hat trotzdem das Gefühl weit zu reisen. Diese kleinen Reisen, nehmen einen mit in eine andere Welt. Es riecht und duftet neuartig, die Worte und das Lachen klingen fremd. Hier fühle ich mich schnell zuhause.

Heute Morgen verschlug mich ein Termin nach St. Georg, einen der Stadtteile, die sich die Bohème in Hamburg seit den 70er Jahren erschlossen hat. Ich war hier lange nicht mehr und schlug meiner Gesprächspartnerin ein Café vor – dummerweise fand ich keines, das schon um 8:00 Uhr morgens auf hat. Bis auf die portugiesische Pasteleria „Caravela“.

Tolles portugiesisches Café in St. Georg

Manchmal führt eine kurze Reise ganz weit weg. In diesem Fall nach Portugal auf einen Galao (portugiesischer Milchkaffe, traditionell im Glas serviert).

Das Caravela scheint der Frühstückstreff vieler Handwerker zu sein. Portugiesisch mixt sich mit dem hanseatischen „Moin“. Ein toller Ort. — at Caravela Lange Reihe.