Flensburg Marina, im Sommer 2006. Sonne 26 Grad, schwachwindig.
Ich kenne diese Homer Simpson Momente, in denen einem maximal noch ein kurzes „Nein“ entspringt, angesichts der Doofheit dessen, was einem gerade passiert oder man gerade selbst tut.
Mir graut heute noch vor dem Gedanken, dass ein solcher Moment mein letzter sein könnte. Ein letztes „Nein“, ein verwunderter Ausdruck im Gesicht. Schluss. Licht aus.
Im Sommer 2006 war es soweit.
Nach einer Segeltour im Flensburg Fjord war B. mit den Kids in ein Tobeparadies in der Nähe gefahren, um die Kinder für die Heimfahrt nach Hamburg müde zu spielen und mir Gelegenheit zu geben, Klarschiff zu machen.
Die „Johanna“ war eine polnische Segelyacht, die sich vier Familien teilten. Wie in vielen Eignergemeinschaften stritten auch wir uns irgendwann über Liegengebliebenes der anderen oder Dinge die eben nicht dort liegen, wo sie hingehören. (Einer der Gründe, warum diese auch zerbrach und ich für B. und mich später ein eigenes Boot suchte, aber das nur nebenbei).
Unter Deck war schon alles chico, als ich die letzten Wischer mit dem Dweil übers Deck führte. Kurze Hose, T-Shirt, barfuß, Hochsommer.
Um den Wasserschlauch auszustellen, nahm ich nicht den Weg über den Seitenschwimmer, sondern den nur unwesentlich kürzeren über den Bugkorb. Ich schwang mein linkes Bein über die Reling und dann das rechte hinterher, wie ich das schon 1000 Mal getan hatte. Diesmal glitschte mir allerdings das Standbein weg.
Grün.
Über mir ist es grün.
Die Gedanken kommen einzeln und verlangen vom zentralen Chip eine Bestätigung. Lustigerweise (so im Nachhinein betrachtet) ist dort nur dieser eine Sinneseindruck und dieser eine Gedanke. Kein Schmerz, keine anderen Sinneseindrücke, keine Angst, keine Panik — die kommt später — als alles vorbei ist)
Wenn es grün ist, dann muss ich unter Wasser sein, denke ich in einer Art Selbstgespräch. Tatsächlich. Erst jetzt spüre ich das Wasser um mich herum. Den Film über den Augen, die die Sonne durchs Hafenwasser ansehen.
Ok. Denke ich. Und ich kann meinen Gedanken da noch seelenruhig zusehen, wenn du unter Wasser bist, dann müsstest du ja mal atmen.
Als wäre er dazugeschaltet worden, meldet sich der Atemreflex. Ich brauche Luft, und zwar schnell.
Zwei Schläge mit den Armen später sauge ich den Sauerstoff in mich hinein und frage mich, warum mir der Nacken und der Brustkorb weh tun. Ich bin immer noch ruhig, als ich plitschnass mich auf den Seitenschwimmer ziehe.
Mein Bootsnachbar gegenüber macht immer noch sein Boot sauber. Hat nix mitbekommen.
Als ich merke, dass alles wieder funktioniert, kommt die Erkenntnis. Als letzte auf der Party vertreibt sie die Gelassenheit von der Tanzfläche und tanzt Pogo.
Was, wenn du nicht aufgewacht wärst. Was, wenn dich der Schlag auf den Nacken ein wenig weiter oben, am Hinterkopf getroffen hätte.
Ich denke wieder, und je trockener ich werde, desto krasser fällt die Erkenntnis über mich her: eigentlich müsstest du gerade ertrunken sein.
Inzwischen habe ich mich angezogen und aus einer Art Vorahnung in die kleine Hafenkneipe am Rand der Schlengel gesetzt. Vor mir steht ein doppelter Akvavit, als mein Körper anfängt zu zittern.
Ich sehe das, was (dann ohne mich) passiert wäre. B. wäre bald wiedergekommen, hätte sich gewundert und dann gesorgt, bevor etwas später Gewissheit gefolgt wäre: Erik ist ertrunken.
Die warme Schärfe des norwegischen Akvavit hilft, das Zittern hört auf. Dafür pochen jetzt mein Brustbein und mein Nacken um die Wette, als wollten sie mir klarmachen: hej Alter, wir sind noch am Leben.
Überlebende eines Homer Simpson Moments.
***
Ich muss diese Woche an das Grün über mir denken, als ich lese, dass „der kleine Theo“ ertrunken ist. Auch so abrupt und vielleicht mit einem letzten „Nein“ auf den Lippen.
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