Mannheim, August, 1991. Heiß, kaum Wind.
Wir warten auf Guns n Roses
Es ist gleich beim Einsteigen heiß im Bus, in dem wir sehr lange Zeit sitzen werden, um gerade so rechtzeitig nach Mannheim zu kommen. Der Veranstalter, Metal Tours, hat pro Bus zehn Paletten Freibier versprochen. Das war ausschlaggebend für Moritz, uns vier Plätze zu buchen. „Wegen der Elektrolyte“, sagte er.
Schon kurz vor Bremen meldet der Busfahrer, dass er jetzt mal 90 Minuten durchfahren müsste, sonst kämen wir nie in Mannheim an – und schon gar nicht rechtzeitig zum Guns n Roses Konzert. Dem einzigen in Deutschland und ausgerechnet in Mannheim. Wer kommt auf so eine Idee?
Routinierte Metal Busreisende hatten sich mit 20 Liter Kanistern ausgestattet, um das dringendste Bedürfnis einigermaßen würdevoll entlassen zu können – Details erspare ich euch. Nur soviel: Moritz lachte mich erst aus, als ich nicht anders konnte, als die netten Jungs von der letzten Reihe um ihren bereits halb vollen Kanister zu bitten. Nicht lange danach mussten auch meine Reisekumpels dringend; und mit dringend meine ich schmerzhaft dringend. Und da war nicht mehr viel Platz darin.
Ich muss da gerade an eine Kurzgeschichte von Henry Miller denken, wie er mit demselben Bedürfnis, nur unwesentlich zwei Generationen vorher, durch Paris wanderte, auf der Suche nach einem Pissoir.
Danke, sagt Markus, dem ich die Geschichte auch gerade erzähle, nun habe ich wenigstens Paris mit im Kopfkino.
Gern geschehen.
Wir schaffen es also irgendwie in die Nähe von Mannheim – eine letzte Pause, zum Pinkeln und Schnobkram kaufen (auf Festivals ist der Schiet ja immer so teuer).
Der Bus fährt los. Aber Moment, wo ist denn Moritz? Der fehlt.
Hej, Herr Busfahrer, Herr Busfahrer, da fehlt noch einer.
Kann hier nicht halten, kann hier nicht wenden.
Er hat offenkundig die Schnauze voll von uns. Vielleicht ist er neu in der Metal Busfahrerszene, noch nicht so abgehärtet? Irgendwie kann ich das sogar verstehen. Nur dass ihm Moritz Schicksal so egal ist, das bringt uns auf die Palme.
Wir machen uns natürlich große Sorgen um Moritz. Aber da es weder Handies gibt, und wir nix tun können, warten wir ab und trinken weiter unsere Elektrolyte.
Moritz ist plietsch, ein Organisationstalent, der schafft das schon. Zur Not muss er seinen Alten anrufen, sagt Heino. Wir nicken, denn so richtig viel mehr fällt uns auch nicht ein. Physische Gewalt gegen den Busfahrer, was Heino vorschlug und als Jurastudent auch begründen konnte, hatten wir ausgeschlossen. Denn dann würden wir alle das Konzert des Jahres verpassen; ach was, des Jahrzehnts. (Zumindest dachten wir das da noch)
Als wir am Maimarktgelände in Mannheim ankommen, winkt uns Moritz schon zu. Er steht neben zwei Polizisten. Der eine lächelt und winkt auch, der andere – der jüngere – guckt mürrisch.
Ein riesenhafter Stein rumpelt uns vom Herzen. Und Moritz Geschichte wäre hier einen eigenen Artikel wert.
Deswegen in gebotener Kürze: Als er in seinem Dunschädel realisierte, dass der Bus ohne ihn abgefahren ist, machte er sich zu Fuß von der Autobahntankstelle auf den Weg in Richtung Mannheim. So grob. Der Weg führte ihn über ein großes Feld, das er zu überqueren gedachte, nicht ahnend, dass es sich um eine Wiese neben der Landebahn des Mannheimer Flughafens handelte.
Die Flughafenpolizei, die ihn aufgriff, um Schlimmeres zu verhindern, hatte ein Metalherz und nahm den freundlichen aber leicht verwirrten und dehydrierten jungen Mann mit Blaulicht mit zur Festwiese. Dadurch war Moritz sogar vor uns da.
So, ab nach vorne, durchwühlen. Wir sind dann mal soweit.
Ich erinner mich noch, dass es ewig dauerte, bis nach zwei Vorbands (von denen Skid Row mir echt den Tag rettete) endlich Guns n Roses auf die Bühne kam.
Axl Rose hatte offenkundig ordentlich was eingeworfen, eingeführt oder eingehobelt, – was weiß ich – denn er hatte Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Seine Kopfstimme klang auch nicht gerade frisch. Natürlich, das verstanden wir gut, nach gefühlt 12 Stunden Busanreise, fühlten wir uns ähnlich. Hej, reiß Dich mal zusammen, Alter, rief Moritz aus der ersten Reihe.
Drop Mic nach den ersten vier Songs, das war auch ne Antwort. Axl Rose, diese Wurst in weißer Lederhose und Kopfstimme schuldete uns ein Konzert; da waren wir uns alle einig. Überhaupt waren meine Helden Anfang der 90er Jahre alle ziemliche Wracks, die Bock auf alles Mögliche hatten, nur nicht darauf, Konzerte zu geben. Das war bei den Red Hot Chilli Peppers im Docks nicht anders. Nur mit dem Unterschied, dass ich mit der S-Bahn nach Hause fahren konnte. (Auch da entpuppte sich die Vorband als Abendretter; die Henry Rollins Band und ihren Frontmann verehre ich seitdem)
Müde, wütend und zerschlagen schlurften wir in den Metal Tours Bus zurück und wollten nur noch eins: die ganze Heimfahrt schlafen.
Das sah der Busfahrer allerdings anders und spielte über die scheppernden Bordlautsprecher „Ich will Dein Blut, wir sind die Kneipenterroristen“ von den Böhsen Onkelz in Dauerschleife. Erst aktive Kommunikation der gesamten Passagierschaft mit der Info, dass wir lieber auf einer Polizeiwache übernachten würden, als das weiter zu ertragen, linderte den Schmerz.
Axl Rose konnte ich das alles lange nicht verzeihen*.
Wieso ich gerade jetzt daran denken muss? Am Donnerstag spielen Guns n Roses, inzwischen clean und im Rentenalter, auf dem Wacken Open Air als Headliner. Schlafen in einem Hamburger Luxushotel und kutschieren für ein kurzes Set in die Matschwelt des sommerlichen Schleswig Holstein.
*. Auch wenn sich die Berichterstattung über das Konzert besser liest, als ich es erinnere.
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