Flüchtige Ewigkeit

Heute gab es kein Morgenrot; der Himmel sandte keinen Hinweis gen Erde, dass er sich um was schert. Mit feuchten, grauen Fingern griffen mies gelaunte Wolken nach allem Lebendigen, saugten alle Energie aus mir heraus.

Ich betrat die Bodega gerade in dem Moment, als Du die Spülmaschine einräumtest, stoisch ruhig und mir abgewandt, umgeben von dieser Selbstverständlichkeit, die natürliche Schönheit ausstrahlt, mitten im Raum stehend, nicht aufdringlich aber unübersehbar.

In den Sekunden, die Du benötigst, Dich umzudrehen und mich mit Deinem offenen Blick fragend anzulachen, habe ich einen ganzen Film in mir durchgeschaut, in dem Dein blonder Zopf eine Hauptrolle spielt. Ich lächele schief und bestelle mir einen Café Solo.

Als Du mich nach meiner Meinung zu diesem Sauwetter fragst, legst Du den Kopf schräg  auf Deine Schulter und spielst unbewusst mit der Schleife Deiner Baristaschürze. Sekunden, die in meiner Erinnerung später zu Stunden gerinnen.

Ich trinke viel zu schnell und stelle meine leere Tasse auf den Tresen, lege ein paar Münzen dazu und nehme noch einen tiefen Blick und dieses vertraute Lachen mit auf den Weg.

Die Sonne hat Löcher in die Wolkendecke gerissen, als ich verliebt in den Moment auf die Strasse trete; meinem eigentlichen Leben entgegen.

Freundschaft mit der Fröhlichkeit

Für Julius, zur Konfirmation.

Deine unerschütterliche Fröhlichkeit aus Kindertagen,

In den Frühling des Lebens tragen;

Auch wenn Zweifel und Wehen in Dir wühlen,

Die Seelen Deiner Nächsten zu erfühlen.

Denn mit des Anderen Glück, kommt die Heiterkeit zurück.

Wenn Dir Freundschaft zum Frohsinn gelingt, Dich nichts vom Weg abbringt.

Urheber aller Länder, vereinigt euch!

Krieg der Verwerter

(Links und Meinungen)

Die Kampagne für und die gegen die neue EU Urheberrechtsreform, über die
heute in Brüssel abgestimmt wird, betrifft nicht nur die Generation
Instagram, sondern alle, die ins Internet schreiben. Auch mich.

Ich habe mich lange schwer damit getan, mich klar dagegen zu
positionieren; die Materie ist einfach zu komplex für einfache Slogans.

Umso glücklicher bin ich über fundierte Meinungen in meiner Tmeline, die mir das Thema näher zisellieren, wie der Tweet-Thread von Enno Park.

Tweet lesen

Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, dass die EU-Politik unsere
Zukunft in Technoligiesilos, wie Google, Amazon, Facebook oder Apple
(kurz GAFA genannt) offenbar für eine Gaspipeline verschachert hat.

Spätestens dadurch tritt der Politikbetrieb selbst in den Fokus des
Widerstands. Warum nicht Politikverdrossenheit das Problem darstellt,
sondern Bürgerverdrossenheit der politischen Kaste, leitet Thomas Knüwer
am Beispiel der US-Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez her.

Der Protest gegen die EU Urheberrechtsreform, die Ignoranz der deutschen Politik gegen ‚Fridayforfuture‘ und der Brexit befeuern die Europawahl im Mai. Es bleibt spannend, bleiben wir widerspenstig.

Dorothy Holden: „Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass dieses Buch auch gefunden und gelesen wird, nachdem ich gegangen bin.“

„Sehr viele Leute haben mir geraten, ein Tagebuch zu führen. Sie sagen, dass, wenn man ein Tagebuch führt, es wahrscheinlicher ist, interessante Ereignisse zu finden, die um einen herum passieren. Also werde ich, Dorothy, dieses Tagebuch behalten.

Ich bin 12. Nächsten Monat werde ich dreizehn Jahre alt. Ich bin jetzt in meinem ersten Jahr der High School und hoffe auch den Rest dieses Jahres dort zu sein. Ich habe einen Vater, eine Mutter und einen Bruder.

Auch eine liebe Freundin, ihr Name ist Sara Louise Spear. Ich traf sie am Hampton Beach, wo unsere Familie im Sommer wohnt. Sie ist ein Schatz, und ich liebe sie wirklich.

Meine beste Freundin hier zu Hause ist jetzt Marion Hansome. Ich mag sie wirklich sehr, obwohl unsere Freundschaft jetzt etwas angespannt ist.

Ich habe so viele Bücher über andere Mädchen gelesen, die vor Jahren Tagebücher geführt haben und dann haben Mädchen dieses Jahrhunderts sie wieder gefunden. Ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass dieses Buch auch gefunden und gelesen wird, nachdem ich gegangen bin. Ich hoffe, dass die Leute, die es finden, es interessant finden.“

Dorothy B. Holden;
13. September 1919.

Via Sally‘s Diaries (Text & Photo), Übersetzung: Blogfrei

„Abschleppen“ – aus dem Alltag eines fiesen Trolls

„Du, Frau Schlägel, kannst Du mal bitte rüberkommen?“, frage ich meine Kollegin ein Büro weiter. „Jaaahaa, Moooment“, flötet es von nebenan.

Wie ich dieses Langziehen von Vokalen hasse. Als sie dann vor meinem Schreibtisch steht, zeige ich aus dem Fenster:

„Sag mal, kannst Du das Kennzeichen da unten lesen?“
„Jahaaaa, HH-V0-9999. – Wiesooo?“

„Nix, Danke. Machst Du die Tür zu, wenn Du rausgehst?“.

Im vierten Stock des „World Cruise and Finance Center“ hat man eine Spitzensicht auf die kleine kurze Eckstraße, die größenwahnsinnig „Lange Straße“ heisst. Hier parken die ganzen „Unmarked Paketboten“ immer, wie ich die schmierigen Subunternehmer der ehemaligen Bundespost immer nenne. Ich notiere mir dann die Kennzeichen, oder lasse sie von Frau Schlägel, also von Marion, notieren und rufe dann die Polizei.

Wenn ich Glück habe, meine Quote liegt bei grandiosen 25% (wenn meine EBITDA-Quote dieses Jahr nur auch so hoch wäre, aber das hat mir ja der Einkauf versemmelt mit diesem Panamadeal). Heute ist ein besonders schönes Exemplar an der Reihe. Übergewicht, beige-blondierte Fisselhaare unter einer HSV-Kappe. „Love the Armory“ steht auf seinem T-Shirt, was wie eine Tätowierung aussieht.

Was auch immer das heissen soll.
Weiss der Spinner bestimmt selber nicht.

Die Polizei erscheint. Hurrah, heute ist mein Glückstag: Zwei „Bulletten“. Eine blonder als die andere.

Der Mann gestikuliert. Herrlich, einer von der Sorte, die denken, sie können sich mit ihrem Charme herausreden. Sind ja Mädchen, die ihm da gegenüber stehen. Hat sich der Typ in den letzten zehn Jahren mal im Spiegel angesehen? Auf Machos, die unsere Auffahrt blockieren und dann auch noch anzüglich werden, können die Polizeimeisterinnen sicher besonders gut.

Das Telefon klingelt, meine Frau ist dran. Was wir denn nun mit dem Elternabend machen heute Abend. „Ich muss noch länger arbeiten, Schatz – ich kann nicht, rufe zurück“, wimmele ich sie ab. Als ich wieder heruntersehe auf die Straße vor meinem Gebäude, sind alle in ihre Fahrzeige gestiegen. Schade, hab ich das Schönste verpasst?

Na, das kann sie, meine saubere Ehefrau; mir den schönsten Moment des Tages versauen.

„Ach, komm, mach Dir nix draus“, denke ich mir und hefte fein säuberlich und mit einem Lächeln auf dem Gesicht meine Fotos vom heutigen Fang in den Tumblr-Blog und drehe zur Entspannung eine Runde bei welt.de , Flüchtlingsartikel kommentieren. …

 

Photo credit: gregorywass on VisualHunt / CC BY-NC-SA

Old Owls Nest schlafen im echten Tipi in Florida

Wir haben auf unserer Florida Rundreise überall übernachtet: in einem 4-Sterne Hotel, einem Beach Resort an der Golfküste und in einem Super-Luxus-Sport Resort in Key West. In einem Designerhotel in Miami und in einem schlimmen Motel. Aber nirgendwo haben wir besser geschlafen, war die Übernachtung ein größeres Erlebnis, als im Tipi des Old Owl’s Nest.

Nach unserem Beachtag in Fort Meyers Beach hatten wir uns etwas ganz besonderes vorgenommen: Eine Übernachtung in einem echten Indianer-Tipi. Ich hatte diese exotische Location schon von Deutschland aus gebucht, weil wir auf unserer Florida Rundreise etwas spezielles erleben wollten – wir wurden nicht enttäuscht.

Schlafen in einem echten Indianerzelt – der Natur näher geht nicht.

Floral City, FL.: – zunächst fährt man vom Interstate Highway eine Weile ins Landesinnere. Die Straßen werden immer schmaler, die Häuser kleiner. An vielen hängt die Südstaaten-Flagge. Wir merken, wir sind auf dem Land. An der angegebenen Adresse weist nicht viel auf ein „Indianer-Dorf“, ein kleiner Pfeil zeigt auf ein Movable Home, das so ausschaut, wie viele andere hier auch. Darüber ragen die Spitzen der Zeltstangen von zwei Tipis in den inzwischen blau-weißen Himmel. Uns kommt ein schmächtiger Mann entgegen und winkt uns hinein. Er heißt Oleg – er und seine Frau Aleks betreiben seit Januar diese zwei Tipis, die sie nach Original-Vorlagen haben bauen und von einem Schamanen mit einer Rauchzeremonie haben weihen lassen.

Es ist in diesem Juni am Nachmittag noch sehr heiß und schwül. Gerade hat es noch wie aus Eimern gegossen. Wir sind gespannt, wie das Tipi von innen aussieht.

Aleks und Oleh kommen beide aus New York, ursprünglich aus dem russischen Teil der Ukraine, was man ihnen auch nach 20 Jahren in den USA noch anhört. Aleks ist Künstlerin und hat die Tipis selbst bemalt und verziert. Innen finden sich haufenweise Naturmotive; „alles Tiere, die man hier sehen kann und die einen nachts besuchen kommen“, erklärt uns Oleg. „Wir haben hier eine große Eule, ein uralter Vogel, den hört man nachts jagen“.

Fischen, relaxen, Feuer machen. Eine Insel der Entspannung

Hinter den beiden Tipis – unseres heißt Sitting Bull, nach dem großen Häuptling benannt und von einem seiner Nachfahren geweiht – liegt ein Fluss, an dem man gut fischen kann. Es gibt dort Aal-ähnliche Fische, die scharfe Zähne haben und eher an einen Alligatoren erinnern. Ihr Fleisch schmeckt wie Hühnchen, sagt Oleg.

Heute Abend gibt es aber veganes Essen – Aleks kocht und immer vegan. Leider hat sich heute alles ein wenig verschoben, sodass wir eine Weile werden warten müssen. Das macht uns nichts aus, wir machen ersteinmal Feuer und trinken auf unsere gute Wahl ein amerikanisches Guiness. Das habe ich in einem Super Target gefunden und war sofort neugierig geworden: Eine kleine Brauerei in Pensilvania  braut dieses helle Bier mit der Lizenz der berühmten irischen Brauerei. Es ist sehr lecker, frisch und vollmundig. Meine Empfehlung, wenn gerade kein Craft-Bier-Laden zur Verfügung steht.

Als die Sonne über den Wipfeln untergeht, hören wir die alte Eule rufen und wie auf Signal, kommt Aleks mit einem veganen Chili, das seines Gleichen sucht.

Als wir uns satt schlafen legen, hören wir, wie um uns herum Floridas Tierwelt erwacht. „Die Traumfänger funktionieren sehr gut“, hatte Oleg uns noch eine gute Nacht prophezeit, „hier hat noch nie jemand schlecht geträumt“. Und in der Tat, langsam rutsche ich in einen tiefen Schlaf und wache am nächsten Morgen erfrischt auf.

Ruhiger Schlaf dank Traumfänger

Wir machen uns mit der kleinen Kaffeemaschine unseren lieb gewonnenen Starbucks Verona Kaffee und schnacken noch eine Weile mit Oleg. Sie wollen dieses Haus verkaufen und sich noch mehr Zelte anschaffen, das Geschäft läuft gut an. Sie haben vornehmlich Gäste aus Europa und aus der Nähe. Für die meisten Amerikaner ist das Übernachten in einem Tipi einfach schwer vorstellbar, sagt er. Europäer sind da neugieriger und weniger verwöhnt.

Dabei hatte das Tipi alles, was man in den USA als Standard ansieht:

  • Einen guten Insektenschutz
  • Eine Klimaanlage
  • Gemütliche und gute Betten (Queen Size)

Wir versprechen wiederzukommen und in unserem Bekanntenkreis ein wenig zu trommeln. Oleg winkt uns zu, als wir mit unserem Ford Expedition vom Hof fahren. Der Name unseres Autos stimmt sprichwörtlich, das erste Mal in diesem Florida-Urlaub. 😉

„Wir haben die schrecklichste Bombe der Weltgeschichte entdeckt.“

„Wir trafen uns heute um 11:00 Uhr. Das heißt, Stalin, Churchill und der US-Präsident. Aber ich hatte vorher eine sehr wichtige Sitzung mit Lord Mountbatten und General Marshall. Wir haben die schrecklichste Bombe der Weltgeschichte entdeckt. Es kann die Feuerzerstörung sein, die in der Euphrat-Tal-Ära nach Noah und seiner fabelhaften Arche prophezeit wurde. Jedenfalls glauben wir, dass wir den Weg gefunden haben, um einen Zerfall des Atoms herbeizuführen. Ein Experiment in der Wüste von New Mexico war ein Startschuss – um es milde auszudrücken. Dreizehn Pfund des Sprengstoffs verursachten einen Krater, sechshundert Fuß tief und zwölfhundert Fuß im Durchmesser, stießen über einen Stahlturm eine halbe Meile entfernt, und schlugen Männer zehntausend Meter entfernt nieder.“

  • Tagebuch von President Harry Truman, am 25. Juli 1945

Genau 12 Tage, bevor die erste Atombombe auf Hiroshima abgeworfen wurde, erläuterte der Präsident seine Diskussionen über den Einsatz der Atombombe. Der auffälligste Teil dieser Passage ist Trumans Wunsch, die Bombe nur für Militärangehörige einzusetzen – nicht für Zivilisten. Hiroshima wurde wegen seines Marinehafens und seines großen militärischen Hauptquartiers ausgewählt. Das zweite Ziel sollte ursprünglich Kyoto, die alte Hauptstadt Japans, sein, aber Truman glaubte, dass das Abwerfen der Bombe auf Tokio oder Kyoto zu übermäßigen zivilen Verlusten führen würde.

Tatsächlich wurde nach dem Krieg enthüllt, dass Kyoto von der Bombe verschont blieb, weil der Kriegsminister, General Stimson, in Kyoto Flitterwochen verbracht hatte und die Stadt besonders liebte. Wie wir wissen, war die überwiegende Mehrheit der Opfer Zivilisten, insbesondere ältere Menschen und Kinder. Truman wurde in den Tagen nach der zweiten Atombombenexplosion von Schuldgefühlen geplagt. Der damalige Handelsminister Henry Wallace schrieb, dass Truman einen Stopp für weitere Pläne zur Bombardierung Japans angeordnet habe, indem er erklärte: „Ihm gefiel die Idee nicht, wie er sagte, all diese Kinder zu töten.”

Photo credit: Costa Rica Bill on Visual Hunt / CC BY-NC

„Es ist alles gut“.

Als ich den Raum betrete, in dem Du seit drei Wochen wohnst, atmest Du einen vorletzten Zug von dieser Welt.

Eine kurze Pause, die ewig erscheint, ich streichle Dir die Wange und sage das, was alle sagen, die beim Abschied zurück bleiben: „Es ist alles gut“.

Einmal wendest Du noch den Kopf, ein letzter Atem verlässt Dein krankes Haus. Ist es vorbei, nun? Ist es aus?

Ja. Du regst Dich nicht mehr. Das merke ich erst nach einer Weile, als nichts weiter passiert. Deine Hand ist noch ganz heiß. Ab und an, glaube ich, hebt sich Dein Brustkorb, doch in Wahrheit tut er das nicht.

Falls jemand fragt, es war halb zwei. Keine Ahnung, ob das wichtig ist, dass das jemand weiß.

Ich mache das Fenster auf und lasse frische Luft hinein und Dich hinaus.

Nach einiger Zeit kühlt Deine Hand merklich ab. Die selbst und so lange erzeugte Wärme verlässt Deinen Körper.

Es ist still. Beinahe. Nebenan guckt ein Todgeweihter RTL2, ansonsten ist es sehr still. Draußen begrüßt eine Amsel den Frühling.

Ich bleibe noch eine Weile neben Dir sitzen, singe ein Matrosenlied, das schon lange in unserer Familie wohnt; rund Kap Hoorn und wedder retour.

Es kommt lange niemand. Hier herrscht keine Eile, wozu auch. Du bist den Zwängen des Notfalls, der Zeit an sich entzogen; endgültig.

In Hamburg ist für heute kein Regen angesagt, es bleibt wohl trocken.

Du hast nicht das Recht zu glauben, was du willst.

 

Haben wir das Recht zu glauben, was wir glauben wollen? Dieses vermeintliche Recht wird oft als das letzte Mittel der absichtlich Unwissenden, der Person, die durch Beweise und wachsende Meinungen in die Enge getrieben wird, behauptet: „Ich glaube, der Klimawandel ist ein Schwindel, was auch immer jemand anderes sagt, und ich habe ein Recht darauf, es zu glauben!“. Aber gibt es ein solches Recht?

Wir erkennen das Recht an, bestimmte Dinge zu erfahren. Ich habe ein Recht darauf, die Bedingungen meiner Anstellung, die Diagnose meiner Erkrankungen durch den Arzt, die Noten, die ich in der Schule erreicht habe, den Namen meines Anklägers und die Art der Anschuldigungen usw. zu erfahren. Aber Glaube ist kein Wissen.

Überzeugungen sind fakultativ: zu glauben ist anzunehmen, dass etwas wahr ist. Es wäre absurd, wie der analytische Philosoph G. E. Moore in den 1940er Jahren sagte: „Es regnet, aber ich glaube nicht, dass es regnet.“ Der Glaube strebt nach Wahrheit – aber er bringt sie nicht mit sich. Überzeugungen können falsch sein, nicht gerechtfertigt durch Beweise oder begründete Überlegungen. Sie können auch moralisch abstoßend sein. Zu den wahrscheinlichsten Anwärtern gehören: Überzeugungen, die sexistisch, rassistisch oder homophob sind; der Glaube, dass die richtige Erziehung eines Kindes „den Willen brechen“ und schwere körperliche Bestrafung erfordert; der Glaube, dass ältere Menschen routinemäßig eingeschläfert werden sollten; der Glaube, dass „ethnische Säuberung“ eine politische Lösung ist, und so weiter. Wenn wir diese moralisch falsch finden, verurteilen wir nicht nur die möglichen Handlungen, die aus solchen Überzeugungen hervorgehen, sondern auch den Inhalt des Glaubens selbst, den Akt des Glaubens und damit den Gläubigen.

Solche Urteile können implizieren, dass der Glaube ein freiwilliger Akt ist. Aber Überzeugungen sind oft eher Geisteszustände oder Einstellungen als entschlossenes Handeln. Einige Überzeugungen, wie z.B. persönliche Werte, werden nicht bewusst gewählt; sie werden von den Eltern „geerbt“ und von Gleichaltrigen „erworben“, versehentlich erworben, von Institutionen und Behörden eingeimpft oder vom Hörensagen übernommen. Aus diesem Grund halte ich es nicht immer für bedenklich, einen Glauben zu haben, sondern es ist vielmehr die Aufrechterhaltung eines solchen Glaubens, die Weigerung, ihn zu bezweifeln oder abzulehnen, die freiwillig und ethisch falsch sein kann.

Wenn der Inhalt eines Glaubens als moralisch falsch beurteilt wird, wird er auch als falsch angesehen. Der Glaube, dass eine Rasse weniger als vollständig menschlich ist, ist nicht nur ein moralisch abstoßender, rassistischer Grundsatz; er wird auch als falsche Behauptung angesehen – wenn auch nicht von den Gläubigen. Die Falschheit eines Glaubens ist eine notwendige, aber nicht ausreichende Bedingung, damit ein Glaube moralisch falsch ist; ebenso wenig ist die Hässlichkeit des Inhalts ausreichend, damit ein Glaube moralisch falsch ist. Leider gibt es in der Tat moralisch abstoßende Wahrheiten, aber es ist nicht der Glaube, der sie so macht. Ihre moralische Hässlichkeit ist eingebettet in die Welt, nicht in den Glauben an die Welt.

Wer bist du, dass du mir sagst, was ich glauben soll“, antwortet der Eiferer. Es ist eine irreführende Herausforderung: Es impliziert, dass die Bestätigung des eigenen Glaubens eine Frage der Autorität ist. Sie ignoriert die Rolle der Realität. Der Glaube hat das, was Philosophen eine „Mind to World“-Richtung der Anpassung nennen. Unsere Überzeugungen sollen die reale Welt widerspiegeln – und in diesem Punkt können die Überzeugungen verrückt werden. Es gibt unverantwortliche Überzeugungen; genauer gesagt, es gibt Überzeugungen, die auf unverantwortliche Weise erworben und beibehalten werden. Man könnte Beweise ignorieren, Klatsch, Gerüchte oder Zeugenaussagen aus zweifelhaften Quellen akzeptieren, Inkohärenz mit anderen Überzeugungen ignorieren, Wunschdenken umarmen oder eine Vorliebe für Verschwörungstheorien zeigen.

Ich will nicht auf den strengen Evidentialismus des mathematischen Philosophen William K. Clifford aus dem 19. Jahrhundert zurückgreifen, der behauptete: „Es ist falsch, immer, überall und für jedermann, irgendetwas zu glauben, wenn die Beweise nicht ausreichen“. Clifford versuchte, einen unverantwortlichen „Überglauben“ zu verhindern, bei dem Wunschdenken, blinder Glaube oder Gefühl (und nicht Beweise) den Glauben stimulieren oder rechtfertigen. Das ist zu restriktiv. In jeder komplexen Gesellschaft muss man sich auf das Zeugnis zuverlässiger Quellen, Expertenurteile und die besten verfügbaren Beweise verlassen können. Darüber hinaus, wie der Psychologe William James 1896 antwortete, müssen einige unserer wichtigsten Überzeugungen über die Welt und die menschliche Perspektive ohne die Möglichkeit ausreichender Beweise gebildet werden. Unter solchen Umständen (die manchmal eng, manchmal breiter in Jakobus‘ Schriften definiert sind), berechtigt uns der‘Wille zu glauben‘ dazu, die Alternative zu wählen, die ein besseres Leben projiziert.

Bei der Erforschung der Vielfalt religiöser Erfahrungen erinnert uns James daran, dass das „Recht zu glauben“ ein Klima religiöser Toleranz schaffen kann. Jene Religionen, die sich durch erforderliche Überzeugungen (Glaubensbekenntnisse) definieren, haben Unterdrückung, Folter und unzählige Kriege gegen Ungläubige geführt, die nur mit der Anerkennung eines gegenseitigen „Rechts auf Glauben“ beendet werden können. Doch auch in diesem Zusammenhang können extrem intolerante Überzeugungen nicht toleriert werden. Rechte haben Grenzen und tragen Verantwortung.

Leider scheinen heute viele Menschen eine große Lizenz mit dem Recht zu glauben zu haben, indem sie sich über ihre Verantwortung hinwegsetzen. Die absichtliche Ignoranz und das falsche Wissen, die gemeinhin durch die Behauptung „Ich habe ein Recht auf meinen Glauben“ verteidigt werden, entsprechen nicht den Anforderungen von James. Betrachten wir diejenigen, die glauben, dass die Mondlandungen oder die Schießerei in der Sandy Hook-Schule unwirkliche, von der Regierung geschaffene Dramen waren; dass Barack Obama Muslim ist; dass die Erde flach ist; oder dass der Klimawandel ein Schwindel ist. In solchen Fällen wird das Recht zu glauben als ein negatives Recht proklamiert, d.h. seine Absicht ist es, den Dialog zu unterbinden, alle Herausforderungen abzulenken und anderen zu verbieten, sich in die eigene Glaubensverpflichtung einzumischen. Der Geist ist geschlossen, nicht offen für das Lernen. Sie mögen „wahre Gläubige“ sein, aber sie glauben nicht an die Wahrheit.

Der Glaube, wie der Wille, scheint grundlegend für die Autonomie, den ultimativen Grund der eigenen Freiheit zu sein. Aber, wie Clifford auch bemerkte: „Niemandes Glaube ist auf jeden Fall eine Privatangelegenheit, die sich nur um sich selbst kümmert“. Überzeugungen prägen Einstellungen und Motive, leiten Entscheidungen und Handlungen. Glauben und Wissen bilden sich innerhalb einer erkenntnistheoretischen Gemeinschaft, die auch ihre Wirkung hat. Es gibt eine Ethik des Glaubens, des Erwerbs, der Aufrechterhaltung und des Verzichts auf Glauben – und diese Ethik erzeugt und begrenzt unser Recht zu glauben. Wenn einige Überzeugungen falsch, moralisch abstoßend oder unverantwortlich sind, sind einige Überzeugungen auch gefährlich. Und darauf haben wir kein Recht.


Übersetzt vom Blogautor, Original von AEON, unter CC Lizenz by-na
Daniel DeNicola
ist Professor und Professor für Philosophie am Gettysburg College in Pennsylvania und Autor von „Understanding Ignorance: The Surprising Impact of What We Don‘t Know (2017)“, der von der Association of American Publishers mit dem PROSE Award in Philosophy 2018 ausgezeichnet wurde.

Published in association with
The MIT Press
an Aeon Partner

Photo credit: PHOTOGRAPHY Toporowski on VisualHunt / CC BY

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Resonanzboden

CC by visualhunt

Harmonien brauchen Resonanz. Wie Wellen, die sich an einem hellen Strand 🏝 brechen und ihr Dasein in einem charakteristischen Meeresrauschen vollenden, brechen sich die Töne unseres Wirkens, der Sound dessen, was uns widerfährt oder was wir selbst tun, an all den Kinken und Facetten unseres Lebens.

Vereinen sich zu einem einzigartigen Klang, der mit jedem Jahr voller und runder wird. 😉

Nu auf See …

Dieses Gefühl, wenn Gischt und Regen sich vereinen und vom Sturm getrieben, wie eiskalte Nadeln in das Gesicht stechen; einem den Atem raubend nur einen Wunsch zulassen: so schnell wie möglich hinein in den sicheren, ach irgendeinen Hafen, das kenne ich auch.

“Jetzt auf See und dann kein Schiff”

Und die Hochachtung ist kaum zu beschreiben, wenn man Geschichten von Männern liest, die freiwillig den anderen Weg gehen; vom sicheren Hafen in das klamme Inferno hinaus steuern, um anderen – vielleicht irgendwann auch mir – zu Hilfe zu eilen.

„Die beiden Pole eines ausgeprägt modernen Empfindens sind Nostalgie und Utopie“

„Wie wundervoll das alles im Rückblick erscheint. Wie sehr man sich wünschte, dass ein wenig von der Kühnheit, dem Optimismus, der Verachtung für den Kommerz überlebt hätte. Die beiden Pole eines ausgeprägt modernen Empfindens sind Nostalgie und Utopie.

Das vielleicht interessanteste Merkmal der Zeit, die heute als die Sechziger Jahre etikettiert wird, war die Tatsache, dass es so wenig Nostalgie gab. In diesem Sinne handelte es sich tatsächlich um einen utopischen Moment.“ (Susan Sontag)

An einem Nachmittag im Jahr 1966 begegnen sich Susan Sonntag und der Radiomann Jonathan Cott auf dem Campus von Berkeley zufällig und zum ersten Mal. 1978 treffen sie sich wieder; zu einem Interview, das legendär werden sollte. Erst in Sontags Pariser Wohnung, dann in ihrem Loft in New York. „„Die beiden Pole eines ausgeprägt modernen Empfindens sind Nostalgie und Utopie““ weiterlesen