Monat: Juli 2025

Von Menschen und Netzen

Strande, oder anderswo. Verknüpft mit dem Fediverse. Dem was? Hier weht kein Wind und es sind immer 14 Grad.

Jedes Mal, wenn ich in unserem Podcast das Fediverse erwähne, sagt Willi, schalten die Leute ab.

Das ist schade. Denn wenig fasziniert mich im Moment mehr, als der Gegenentwurf zu protofaschistischen Silos wie die von Elon oder Zuck.

Da musst Du jetzt durch, sag ich. Willi lächelt. Du bist eben Blogger durch und durch.

Ja, und es wird wieder gebloggt. Klick hier unten mal auf den Uberblogger Ring, hunderte Menschen die ins Internet schreiben, wieder oder immer noch. Die was zu sagen haben, ohne dass Algos ihre Hetze pushen. Fundierte Analysen, seitenweise, Spaziergänge durch anderer Menschen Leben. Ohne fake Instasessions auf Bali.

Ich liebs.

Und Rivva gibt’s auch noch. Wen?

Rivva, ein Projekt, das im Niemandsland geboren wurde. Zwischen dem Zusammenbruch der New Economy und vor Facebook und Co. Als Blogs die digitale Welt eroberten. Das war mal der heiße Scheiss – und das könnte es wieder werden.

Denn es funktioniert. Ich kriege über meine Mastodon Instanz und die Blogs alles mit, was vorgeht. Ich brauche Twitter und Insta kaum noch.

Oh ein Eichhörnchen.

Was machst du denn heute noch so? (Willi will das Thema wechseln)

Ich gehe aufs Strander Promenadenfest. Da haben sie vor fast zehn Jahren sauteuren chinesischen Stein verlegt und das feiern sie jetzt jedes Jahr.

Was gibt’s denn da?

Menschen. Die meisten aus Strande selbst. Die feiern in erster Linie sich. Es gibt zu essen, reichlich zu trinken, Bier, Champagner, Rocker-Rum (sehr 😋). Und Musik.

Hab heute Mittag den Bassisten der Johnny Cash Coverband getroffen. Der stand n büschen hilflos rum in seinem Trojan Shirt, da war klar: der ist nicht von hier.

Er spielt eigentlich in einer Reggae Band, aber heute eben Cash. Ist ja auch verwandt irgendwie.

Um 15:00 Uhr geht’s los. Und du?

Ich hab Oke heute ne schwarze Gummiente abgekauft und hoffe nu, dass ich was gewinne.

Cool. Ich drück dir die Daumen.

Was Johnny wohl zu Strande gesagt hätte?, denke ich. Da hat Willi aber schon aufgelegt.

Ernst sagt

Mein Nachbar Ernst geht im Hinterhof an mir vorbei, er war gerade auf dem Ottenser Wochenmarkt was einholen. Der Biobauer von dem er sein Gemüse bezieht, wohnt öfter bei ihm. In seinem Wohnatelier, dort wo er malt, schreibt, musiziert und denkt.

Ernst hat oft Besuch. Von Filmemachern, von Fotografen und von besorgten Biobauern. Und er denkt gerne. Am liebsten um die Ecke.

Hallo Erik, sagt er, Deine Frisur sieht aus wie Depeche Mode. An seinem Gesichtsausdruck ist nicht genau abzulesen, wie er das meint.

Ernst ist Maler, denke ich, er muss es ja wissen.

Mittwoch

Mittwoch ist der April unter den Wochentagen. Das Schlimmste scheint vorbei,  der Sommer ist nahe, aber eben noch nicht da.

Ist eigentlich irgendwann irgendetwas von Rang passiert an einem Mittwoch?

Der Montag ist schwarz, der Freitag bunt. Was ist denn dann der Mittwoch? Umbra?

Ich kenne einen, der hat Mittwochs immer frei. Er nennt das sein kleines Wochenende.

So macht man das: zerstückelt die eine Woche in zwei kurze. Dann wäre ja aber der Mittwoch ein Sonntag. Eigenwillig.

Lebe Beizeiten

Eigentlich war es nun soweit. Es war eigentlich Zeit.
Und doch war ALLES, was er erreicht hatte auch jetzt noch in Gefahr.

Soviel hatte er entbehrt, nicht getan, sich untersagt; in der vermeintlichen Gewissheit, es nun gut gebrauchen und geniessen zu können.

Nun war es soweit. Nun sollte es doch soweit sein.

Aber alles, an das er denken konnte, war die Angst, es wieder zu verlieren. Alles. Diese böse, diffuse Angst, die ihm unmerklich die Fähigkeit zu allem Herzhaften genommen hatte, sie war größer denn je.

Er hatte sich betrogen – und dieser Gedanke war so ungeheuerlich, dass er ihn sofort verfluchte. Er war umzingelt gewesen von Reichtum, und sie hatten alle genügend Zeit gehabt, ihn zu genießen. Verloren fühlte er sich nun, allein reich an Dingen.

Jetzt langte es nur zu einer verzerrten Grimasse. Er steckte dem alten Gesicht im Badezimmerspiegel die Zunge heraus.

‚BÄH‘

Die kleine Kunst des Verfalls

Søby Havn, stürmischer Wind aus Südost, in Böen acht, Gewitterneigung. 26 Grad.

In Søby, dem nördlichsten Hafen der dänischen Ostseeinsel Ærø, gibt es an fast jeder Ecke Kunst. Eine Kunstschule und ihre Schülerinnen pflanzen überall in der Fähr- und Werftstadt Vergänglichkeit in die Gegend.

Auf dem Weg zum Bäcker, der an diesem Tag geschlossen hat (Lukket til Viledes, was immer das bedeutet? Zur Sicherheit erklärt mir der zahnlose Bäcker das auch nochmal, Lukket, also geschlossen. Ja danke. Dann verschwindet er mit seinem schönsten Lächeln in der Backstube). Auf dem Weg hoch zum Bäcker liegt ein Motorboot auf der Seite und rottet vor sich hin. Aus seinem Inneren ragt ein Holzmast mit einer antiken TV-Antenne.

Entweder das ist von der Sturmflut übrig geblieben, oder das ist Kunst, sagt B. Später, als wir die Ausfallstraße wieder runter latschen. Ohne frisches Brot.

Das pittoreske Café am Hafen hat aber geöffnet. Das ist selten. Meist hat es zu, wenn wir in Søby sind. Was mich immer ein wenig irritiert, dass in einer Gegend, die so sehr touristisch geprägt ist, der Ladenschluss krasser praktiziert wird, als in einer Kleinstadt im Harz der 70er Jahre. In Bad Sachsa oder in Goslar.

Vor der Terrasse steht ein Werbeschild für Hansen Is. Das Eis meiner Kindheit. Ein rechteckiger Vanilleeisblock mit Schokoüberzug. So einfach kann Perfektion sein. Schlappe sieben Euro kostet die Zeitreise in meine Kindheit. Heute nicht.

25% davon sind Mehrwertsteuer erklärt mit die nette Besitzerin des Cafés, die beim Reden gleichzeitig Lachen kann. Ich verdiene nur 5 Kronen daran. Aber ab und an muss es eben sein, sagt sie, dann kaufe ich mir auch eins und reise zurück ins Dänemark der 70er Jahre. Beinahe werde ich schwach. Aber nein, heute nicht.

Die Sirene in der Werft pfeift zum Feierabend. Pünktlich und getaktet wird hier gearbeitet. An alten Rahseglern, ollen Kümos aus Monrovia und Fähren. Alles verfällt in einer irgendwie ordentlichen Art. Maschinenhallen werden durch einfaches Dastehen zur Kunst. Patina überzieht den Hafen, den die meisten nur zum Ankommen oder Abreisen nutzen. Um weiter zu fahren ins Puppendörfchen Æroskøbing oder als Sprungbrett in die dänische Sydsee.

Oben an der Straße und mittendrin, bei der alten Mühle, die schon lange keine Flügel mehr hat, sind Häuser zu verkaufen. Generationswechsel ohne Nachzug. Niemand schaut mehr aus den einfach verglasten Fenstern. Die Uhr am Kirchturm ist abgebaut.

Ich mag das da. Fast lebendig ist dieser Verfall, aus dem nur punktuell was Neues entsteht, nur um selbst wieder zu verwelken, wie dieser Schaukastem mit Seetang von der Kunstklasse letztes Jahr. Wer weiss, vielleicht wird dieser Fleck noch zum klimamäßig gelobten Land. Am Mittwoch hatten wir hier dänischen Hochsommer. Kühle 26 Grad im Schatten, als in Baden Württemberg der Asphalt platzt.

Es ist inzwischen 18 Uhr, wir gehen zurück zum Boot, denn der Hafenmeister macht seine Runde – und die will man nicht verpassen. Er ist neu. Was denn mit dem alten Hafenmeister passiert sei, Leo, dem alten Mann mit der Kapitänsmütze und dem verzierten Holzstock, mit dem er immer auf die Bugkörbe der Boote haut. Morgens um sieben, wenn du abends nicht bezahlt hattest auch. Das weckt Tote.

Leo ist krank, sagt der neue Hafenvogt. Sehr krank. Das sei traurig und anstrengend, weil er das 20x am Tag erzählen muss. Ich nicke und denke: das ist doch auch irgendwie toll, wenn dich so viele Menschen vermissen.

Leo sah immer älter aus, als er wahrscheinlich war. Man sah ihm an, dass er gerne etwas trank. Und p/c waren seine Sprüche auch nicht — und davon hatte er eine Menge. Damit passte er zu diesem Hafen. Nun verfällt auch er.

Immerhin. In Søby kommt noch der Hafenmeister, persönlich. Man muss sich nicht mit einer doofen App unterhalten, um die horrenden Hafengebühren zu bezahlen, sagt mein Nebenlieger. Dafür sind die Duschen aus den 90ern. Auf diese Form der Patina kann ich verzichten, sagt B.

Ich mag den patinalen Verfall trotzdem, bei dem sich das einst moderne zusammen zieht und stoisch rostet. Mit der Zeit wirds Kunst. Von ganz allein.