Bagenkop, stürmischer Wind aus Ost. Mal wieder Sturmflutneigung an der westlichen Ostsee. Nachts einstellig, 8 Grad. Tagsüber sonnig, 15 Grad.
Ich sitze an der Südspitze Langelands mit einer Muck Kaffe im Cockpit und denke an den Winter. Das mache ich um diese Zeit des Jahres immer: nochmal losgehen (in Rekordzeit und mit schlappen Armen vom Pinnegehen nach Norden segeln, und über den Winter nachdenken).

Der Hafen ist so gut wie leer. Auch die Ferienwohnungen, die den Hafen umsäumen und aus denen B. immer Blicke in unser Cockpit vermutet (deswegen mag sie Bagenkop nicht), wirken verlassen. Der ganze Ort ist nach einigen Wochen Hektik im Hochsommer wieder in diese Langeland so eigene Lethargie verfallen. Auf Langeland ist man vom pulsierenden Kern Dänemarks am weitesten weg – und das merkt man dieser langen Insel auch an. Langeländerwitze sind das dänische Pendant zu unseren Ostfriesen.
Meine Gedanken schweifen nach Süden, nach Hamburg. Zum Auslöser meiner Wintermelancholien (ja, Mehrzahl, denn es kommen immer mehr dazu).
Vor mehr als zehn Jahren saß ich auf dem Teufelsbrücker Ponton und trank ein Getränk (ich glaube es war Glühwein, denn es war der Neujahrstag und es war kalt unten an der Elbe). Der Abendnebel lag schon über meinem Heimatfluss, die Sonne lugte als weiße kraftlose Scheibe durch den klammen Vorhang als ein Segelboot mit der Tide und gegen den leichten Wind kreuzend aus dem weißen Flimmern auftauchte. An Bord lauter dick eingemummelte aber lächelnde Männer. Nach der Wende verschwanden sie wieder im Dunst, so schnell wie sie gekommen waren – seitdem träume ich davon, mein Ansegeln auch einmal auf den ersten Tag des Jahres zu legen.
Oder gar nicht aufzuhören, auf dem Wasser unterwegs zu sein.
Während des späten Frühjahrs und des Sommers verstummt dieser chronische Wunsch, fängt aber regelmäßig im September an, lauter zu denken, wenn das Winterlager abgemacht und alle Termine eingelockt sind.
(Serviceinfo: der Hafen Strande krant ab November nicht mehr am Wochenende; der Hafenmeister bittet, das zu beachten)
Dann wandern meine Gedanken immer öfter nach Süden, malen sich den langen aber streckenweise wohl wundervoll pittoresken Weg über die Schleusen der Rhone und Saone aus, an deren jahrhundertealten Schleusen und Gasthöfen lokaler Käse und Wein gereicht wird und Zeit keine ernst zu nehmende Rolle zu spielen scheint.
Sechs Wochen wären eine realistische Zeit, sagen Skipper, die den Weg vom Norden über die europäischen Flüsse und Kanäle schon gewählt haben. Außen rum ist ja derzeit auch wegen der Orcas vor Portugal nicht so sicher – von dem 300 Seemeilen Schlag über die Biskaya ganz zu schweigen. Im Herbst wird der Nordatlantik garstig.
Es ist immer dieselbe Dramaturgie. Träume ich gerade von einem Glas Rhonewein am späten Nachmittag, alles Schleusen des eintönigen Tages ist getan, holt mich die Realität ein. Sie hat immer die Stimme von M. M. ist schnell zu begeistern, sieht dann aber alle Gefahren und Waswärewennlichkeiten. Seine Begeisterung schmilzt dann wie Butter in der Sonne.
„Wie willst du denn arbeiten, wenn Du dich den ganzen Tag von Schleuse zu Schleuse hangelst? Oder willst Du Schleuseninfluencer werden?“, M. lacht. Er lacht gerne über seine Provokationen, denn natürlich weiß er, dass ich das zu gerne täte: seglerisches Reisebloggen als Beruf, als Passion, die so viele Leute begeistert, dass sie meine Ebooks kaufen oder mich mit dem Gegenwert eines Galao in der Schanze, das machen lassen, was ich liebe.
Regieanweisung: nun kommt eine der Weggabelungen, an denen der Autor - also ich - entscheiden muss, wie nah er dieses Logbuch an der Realität entlang schippern lassen möchte. Ich liebe meinen Job als Scrum Master. Es bringt mir Spaß und Erfüllung, mit Teams zu arbeiten. Ob das meinem autofiktionalen Ego hier im Logbuch auch so geht? Mal sehen ;)
M. denkt nach. Das weiß ich, weil er immer ein wenig auf seiner Wangeninnenseite kaut, wenn er nachdenkt.
„Was wäre denn, wenn Du dir ein Boot kaufst im Süden? Dann ist es gleich warm und du kannst Boatoffice machen – in derselben Zeitzone auch noch.“

Ja, darüber denke ich auch nach, antworte ich. Ein Winter in Palma ist auch schön.
„Ja, dann mach das doch“. M. sagt, er muss mal kurz weg und ruft mich nachher zurück. Nächste Woche kochen wir was in seinem Büro. Ein One-pan-Gericht, ein herbstliches. Rübenmuß mit Spiegeleiern. Gute Idee, denke ich. Das mache ich mir heute auch. Habe im Superbrugsen Steckrüben entdeckt.
Die mache ich nachher, wenn beim Sonnenuntergang die herbstliche Kälte sprichwörtlich vom Himmel fällt. (Der Käse und der Rotwein müssen warten)
Dann mache ich es mir unter Deck gemütlich und lese anderer Leute Logbücher. Auch, um mich ein wenig zu gruseln, wenn in ihnen Eisberge auftauchen – Liveaboards um 1770 hatten es auch nicht leicht:
Den 24. Februar beschloß Herr Cook endlich, da sie unterm 62° südlicher Breite abermals nichts als Eisfelder antrafen, und die nunmehrige Jahreszeit fernern Entdeckungen in diesen Meeresgegenden allzu ungünstig war, für dieß Mal nicht weiter nach Süden zu gehen; doch steuerte er bis zum siebzehnten März zwischen dem 61 und 58° noch immer ostwärts, während welcher Zeit ein Ostwind, der gemeiniglich Nebel und Regen brachte, sie mehr als einmal in Gefahr setzte, an den hohen Eisinseln zu scheitern.
Diese machten jetzt ihren beinahe einzigen, zwar gefährlichen und schauervollen, aber eben dadurch desto interessantern Zeitvertreib aus. … Einige waren wie Kirchthürme gestaltet; noch andre gaben unsrer Einbildungskraft freies Spiel, daraus zu machen, was sie wollte, und dienten uns, die Langeweile zu vertreiben, weil der tägliche Anblick von Seevögeln, Meerschweinen, Seehunden und Wallfischen den Reiz der Neuheit längst verloren hatte.« – Christoph Martin Wieland. Auszüge aus Jakob Forsters Reise um die Welt.
Wo würdest Du gerne den Winter verbringen, wenn Du Heldin meiner Geschichte wärst? K. sagt, in Griechenland sind die Hafengebühren am moderatesten. Malaga, sagt er, sei am wärmsten. … Lass Deine Fantasie fliegen und schreibe mir per Reply. (Oder lass mich die Fantasiearbeit machen und gib mir n Manöverbier aus, via Ko-Fi oder Steady …)
Sail ho‘, Erik
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