Meine Großeltern hatten noch „eine gute Stube“, die meist wenig geheizt wurde, denn in ihr hielt man sich nur zu besonderen Gelegenheiten auf. Das alltägliche Leben fand in der Küche statt, oder im Keller beim Werkzeug, das meinem Opa heilig war oder im Schlafzimmer, wo meine Omi ihre Kölner Wässerchen vor der Frisierkommode sortierte, die sie im Dorf vorzeigbar machen sollten.
Falls dann jemand aus diesem Dorf zu Besuch zum Süllberg käme, würde er oder sie sofort in zwei Klassen unterteilt: die, die man in die Gute Stube führte und die, die mit der Küche vorlieb nehmen mussten.
In der Guten Stube gruppierten sich barocke Sitzgelegenheiten um einen Marmortisch. Ein 3er-Sofa stand an der Kopfwand und über ihm ein Ölgemälde mit einem wuchtigen Rahmen.
Es gibt Fotos der ganzen Familie (bis auf meinen Bruder und mich sind alle tot), wie sie darunter Kaffe trinkt. Aus einem Kaffe-Service, das ebenfalls nur zu besonderen Momenten und für besondere Menschen hervorgeholt und abgestaubt wurde.
Ich habe ewig nicht mehr an dieses Bild gedacht, bis ich es gestern auf dem Schanzenflohmarkt wiedersah.
Sofort legen sich Erinnerungen in mein Bewusstsein, an Omi und Opa und die Gute Stube.
Ich stelle mir vor, das hier sei exakt dasselbe Bild, und dass es eine lange Reise über Flohmärkte in Hamburg hinter sich hat, nur um sich mir und meiner Erinnerung heute zu präsentieren.
Ganz kurz überlege ich, ob ich es kaufe, mache dann aber nur dieses Foto, das mich gerade wieder entführt. In diese merkwürdige kleinbürgerliche Welt vor 40 Jahren.
(Als ich heute morgen versuche herauszufinden, von wem dieses Bild wohl gemalt worden ist, stoße ich auf lauter gemalte Wald- und Flußlandschaften, die alle sehr ähnlich aussehen. Eines davon ist von einem Künstler des 19. Jahrhunderts aus Stavanger und heute sehr wertvoll). Mist.

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