Mein Opa der Nazi und wie er versuchte seinem Schwager zu helfen
Gerade habe ich in einer Diskussion um Mitläufer wieder die traurige Familiengeschichte von meinem Opa erzählt, der versuchte, den Mann seiner Cousine aus der Haft „rauszuholen“; mithilfe seiner Uniform als Ortsgruppenleiter.
Mein Opa war Werftarbeiter und kein Kommunist oder Sozialdemokrat. Das hieß für ihn logischerweise – so hat er es mir später erzählt- in die andere Arbeiterpartei einzutreten. Die NSDAP.
Mein Opa war ein klassischer Mitläufer. Meine Familie wohnte damals in einem Vorortdorf von Hamburg, in dem er es bis zum stellvertretenden Ortsgruppenleiter brachte.
Soweit ich weiß, hat er keine schweren Verbrechen begangen. Es aber doch genossen, beim Bäcker und Schlachter regelmäßig vorgelassen zu werden.
Bis zum Frühjahr 1945 lief das alles ganz sutsche. Er war wichtiger Teil der Heimatfront auf einer Hamburger Werft. Das Leben ging seinen Gang, trotz Krieg und allem.
Seine Cousine hatte einen Juden geheiratet. Einen gewissen Levy. Superkriegsheld im 1. Weltkrieg mit Eisernem Kreuz erster Klasse mit Eichenlaub am Bande oder so.
Das beschützt ihn, hat er immer geglaubt. Während des Krieges wohnte er im Grindelviertel (nachdem ihre Villa in Nienstedten zwangsverkauft war) und wurde tatsächlich in Ruhe gelassen, weitestgehend.
Nur, so ist es überliefert, wollte er sich nicht vorschreiben lassen, wo er einzukaufen hatte. Bei einem seiner Besuche in einer arischen Schlachterei haben sie ihn verhaftet. Das war im Frühjahr 1945.
Mein Urgroßvater, Schreiner und Freimaurer, lag schon lange über Kreuz mit den Nazis und somit auch mit seinem Sohn.
Jetzt aber holte er ihn ab, um den Mann seiner Nichte Mithilfe des Amtes und der Uniform meines Opas rauszuholen. “Nu können wir mal sehen, wofür die Scheißuniform gut ist”, soll er gesagt haben, bevor sie nach Neuengamme fuhren — dorthin war Onkel Levy inzwischen gebracht worden
Das mit dem “Rausholen” hat nicht geklappt. Dafür durfte mein Opa das Lager aussuchen, in das Levy kommen sollte (quasi als Entgegenkommen, als maximalen Wirkertrag seiner Stelllung und Uniform).
Da er die Unterschiede zwischen den Lagern nicht kannte (das glaube ich ihm sogar), wählte er das mit dem schönsten Namen: Theresienstadt.
Mein Onkel Levy wurde kurz vor der Befreiung im Frühjahr 45 ermordet. Seine Frau, meine Großtante, und ihre Kinder sind in die USA migriert und haben nie wieder ein Wort mit meinem Teil der Familie gesprochen.